Eine Regenbogenflagge weht in Hannover anlässlich des Christopher Street Days. © NDR

SPD und Grüne wollen queeres Leben sichtbarer machen

Stand: 10.11.2023 14:49 Uhr

Die beiden Regierungsfraktionen reagieren auf die steigende Zahl an Straftaten gegen queere Menschen und wollen deshalb unter anderem die Verfassung ändern. Doch der Antrag sorgt für Kritik.

von Mandy Sarti

Niedersachsen ist im Ländervergleich das Schlusslicht, was die Schutzmaßnahmen von queeren Menschen anbelangt. Das hat erst kürzlich eine OECD-Studie ergeben. SPD und Grüne wollen deshalb einen Landesaktionsplan auf den Weg bringen. Swantje Schendel (Grüne) machte am Freitag im Landtag deutlich: "Es ist beschämend und schmerzlich, dass wir in Niedersachsen - in unserer Mitte - immer noch von Fällen hören, in denen Menschen aufgrund ihrer Liebe oder ihrer Identität beleidigt, bedroht und angegriffen werden." Das spiegele nicht die Werte der Gesellschaft wider. Es sei die Pflicht der Regierung, Menschen zu schützen, sagte die Grünen-Politikerin. Der Antrag "ist der erste Schritt auf dem Weg, der uns alle zu einem Ziel führt: einer Gesellschaft, die Vielfalt nicht nur toleriert, sondern als selbstverständlich erachtet".

Videos
Zwei Männer beim Hände halten, sie tragen Eheringe. © Screenshot
6 Min

Gewaltbereitschaft gegenüber LGBTQIA+ steigt

Queere Menschen erleben mehr Diskriminierung als andere Gruppen - und immer wieder auch körperliche Gewalt. (31.07.2023) 6 Min

CDU hält Antrag für überflüssig

Sophie Ramdor (CDU) kritisierte, dass SPD und Grüne einen Antrag eingebracht hätten, der längst im Sozialausschuss diskutiert werde. Das sei "Showpolitik für die Wählerschaft". Die AfD stellte sich komplett gegen den Antrag. Sie beharrte darauf, dass es "nur Männer und Frauen" gebe. Queer sei ein politischer Kampfbegriff.

Konkret geht es SPD und Grünen um zwölf Punkte. Darunter unter anderem:

  • Eine Verfassungsänderung zum Schutz vor Diskriminierung
  • Den Prüfauftrag, Beratungsangebote für queere Menschen im ländlichen Raum auszubauen
  • Fortbildungen im Bildungsbereich
  • Schulrechtliche Vorgaben zum sensiblen Umgang mit trans-, inter- und nicht-binären Schülerinnen und Schülern
  • Unterstützung der Kommunen bei Schutzkonzepten
  • Die konsequente Umsetzung der sogenannten Dritten Option in allen Bereichen der Landesverwaltung

Dritte Option müsste längst umgesetzt sein

Was es bedeutet, wenn man in Formularen nur die Option hat, männlich und weiblich auszuwählen, weiß Anjo Kumst vom Verein Intergeschlechtliche Menschen Niedersachsen. "Immer dann, wenn ich mich einem von beiden zuordnen muss, spüre ich die Diskriminierung. Denn für mich trifft beides nicht zu." Anjo Kumst ist mit weiblichen und männlichen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt gekommen, wurde "als Kind weiblich gedacht" und hat einen weiten Weg hinter sich. Erst seit 2019 gibt es für Anjo Kumst die Möglichkeit, statt "männlich" oder "weiblich" die Option "divers" als Personenstand im Ausweis anzugeben oder das Feld ganz freizulassen. Doch in Formularen geht das noch immer nicht überall. Für Anjo Kumst etwas, das schon längst hätte umgesetzt werden müssen - dass darüber auch 2023 noch diskutiert werden muss, ist für Anjo Kumst unverständlich. "Im Endeffekt wünsche ich mir keine Sichtbarkeit, ich wünsche mir eine Selbstverständlichkeit."

Queeres Netzwerk hält Pläne für nicht ausreichend

Auch das Queere Netzwerk Niedersachsen sieht den Antrag der beiden Regierungsfraktionen gespalten. Einerseits sei es gut, dass der Antrag so viele Punkte umfasse, sagte Mareike Walther. "Eine Erweiterung der Landesverfassung um einen Diskriminierungsschutz wäre in Zeiten rückläufiger gesellschaftlicher Unterstützung für die Rechte queerer Menschen ein wichtiges Signal." Aber Walther übte auch Kritik: Dass eine Fachstelle für queerfeindliche Gewalt und ein "dringend notwendiges Beratungsangebot" nur geprüft werden sollen, sei nicht ausreichend. Das Fazit: Von einer rot-grünen Landesregierung habe man sich deutlich mehr erhofft.

Zahl der Straftaten steigt an

Die Angriffe auf queere Menschen nehmen zu. Laut der polizeilichen Kriminalstatistik gab es im vergangenen Jahr 94 Straftaten, bei denen die sexuelle Identität oder Orientierung das Tatmotiv war. 2021 waren es 60 Fälle. Die Dunkelziffer dürfte laut Expertinnen und Experten größer sein. Auch Anjo Kumst bemerkt das in der öffentlichen Arbeit. "Ich befürchte schon, dass ich mich in Zukunft nicht mehr so offen äußern werde." Damit das nicht der Fall ist, müsse politisch mehr getan werden.

Weitere Informationen
Eine Fahrradfahrerin radelt über einen Zebrastreifen in Regenbogenfarben. © picture alliance/dpa Foto: Daniel Löb

Zeichen der Toleranz: Braunschweig plant Regenbogen-Zebrastreifen

Die Umsetzung ist für kommendes Jahr geplant. Anlass für den entsprechenden Antrag war ein homophober Angriff beim CSD. (21.09.2023) mehr

Eine Person hält bei der CSD-Demo in Hamburg ein Schild mit der Aufschrift "Hass macht hässlich". © picture alliance/dpa Foto: Georg Wendt

Mutmaßlich homophober Angriff beim CSD: Polizei sucht Zeugen

Ein 22-Jähriger soll in Braunschweig von einer fünfköpfigen Gruppe angegriffen worden sein. Ein Verdächtiger wurde gestellt. (15.08.2023) mehr

Eine Teilnehmerin trägt eine Regenbogenfahne im Haar beim Umzug zum Christopher Street Day (CSD) durch Oldenburg © dpa Foto: Focke Strangmann

Niedersachsen verstärkt Anstrengungen gegen Queerfeindlichkeit

Die Zahl der Straftaten ist deutlich gestiegen. Mit Beratung und mehr Ansprechpersonen will die Polizei gegensteuern. (02.08.2023) mehr

Zwei Männer sitzen auf einer Brücke. © Screenshot
2 Min

Queere Menschen sind besonders von Diskriminierung betroffen

Das zeigt eine Studie des LKA Niedersachsen. 75 Prozent der befragten queeren Menschen geben an, bereits Hass erfahren zu haben. (01.08.2023) 2 Min

Regenbogenfahne beim CSD (Christopher Street Day) in Oldenburg. © dpa-Bildfunk Foto: Focke Strangmann/dpa

Queerfeindliche Straftaten in Niedersachsen mehr als verdoppelt

Das zeigen Zahlen des Landeskriminalamts aus den vergangenen drei Jahren. Das Queere Netzwerk Niedersachsen fordert mehr Hilfe. (31.07.2023) mehr

LGBTQIA - Die Initialien der Wörter "lesbian, gay, bisexual, transgender, questioning, intersex, and asexual" in bunten Holzbuchstaben. © picture alliance / Zoonar | Roman Sigaev Foto: Roman Sigaev

Was bedeutet LGBTQIA+?

Das Kurzwort entwickelt sich seit Jahrzehnten: Es steht für Sichtbarkeit der Menschen, Vielfalt der Liebenden und der Liebe. (30.07.2023) mehr

Schriftzug Polizei steht auf dem Rücken an der Uniform eines Polizisten. © NDR Foto: Pavel Stoyan

Transfrau in Hannover von sechs Männern angegriffen und bespuckt

Die 44-Jährige hatte vor einem Imbiss auf eine Freundin gewartet. Der Staatsschutz ermittelt, die Polizei sucht Zeugen. (17.07.2023) mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 10.11.2023 | 18:00 Uhr

Mehr Nachrichten aus Niedersachsen

Zahlreiche Kerzen, Blumen und Kränze liegen beziehungsweise stehen vor dem Eingang der Johanniskirche in Magdeburg. © dpa-Bildfunk Foto: Sebastian Kahnert

Neunjähriger aus Niedersachsen stirbt bei Anschlag in Magdeburg

Das Kind kam nach NDR Informationen aus Warle im Landkreis Wolfenbüttel. Der jüngere Bruder des Jungen wurde leicht verletzt. mehr