Queerfeindliche Straftaten in Niedersachsen mehr als verdoppelt
Beleidigt, bedroht, geschlagen: In einer LKA-Studie geben drei Viertel aller befragten queeren Menschen an, diskriminiert zu werden. Eine Anlaufstelle für Opfer sei dringend nötig, sagt das Queere Netzwerk Niedersachsen.
"Solidaritätsbekundungen und das symbolische Hissen von Regenbogenfahnen vor den Ministerien reichen nicht mehr aus", sagt Franziska Fahl vom Vorstand des Queeren Netzwerks Niedersachsen. Sie fordert konkrete Maßnahmen wie den Aufbau einer zivilgesellschaftlichen Beratungsstelle für die Opfer queerfeindlicher Gewalt und mehr Prävention an Schulen. Nicht erst nach den Übergriffen auf Transfrauen rund um den Christopher-Street-Day melden sich immer mehr Menschen zu Wort, die nach eigenem Erleben mehr Hass spüren als früher.
Verrohte Debatten können in Gewalt umschlagen
Warum gibt es diese Anfeindungen? Prof. Mathias Kauff, Leiter der Psychologie an der Medical School Hamburg, hat dazu geforscht. "Viele Menschen kommen nicht mehr mit", erklärt er. Themen wie Trans-Identität und das Selbstbestimmungsgesetz seien richtige "Triggerpunkte" für manche Menschen geworden. Öffentliche Debatten würden immer aggressiver geführt, mit unabsehbaren Folgen für die LGBTQIA+ Gemeinschaft: "Wir wissen, dass individuelle Gewalttaten eigentlich immer aus dem Hintergrund heraus geschehen, dass Menschen das Gefühl haben, sie haben die breite Unterstützung der Bevölkerung. Das wissen wir von Attentätern, das wissen wir auch von Gewalttätern gegenüber marginalisierten Gruppen."
Queerfeindliche Straftaten mehr als verdoppelt
Die polizeiliche Kriminalstatistik des Landes Niedersachsen (LKA) verzeichnete im vergangenen Jahr 94 Straftaten, bei denen die sexuelle Identität oder Orientierung des Opfers ein Motiv für die Tat war. 2021 waren es noch 60 Fälle, im Jahr davor 37. Die Zahlen haben sich in den letzten drei Jahren mehr als verdoppelt. Laut Polizei liegt das zum einen daran, dass immer mehr Betroffene sich trauen, die Taten auch anzuzeigen. Dennoch sei die Dunkelziffer weiterhin sehr groß, so Alexander Gluba, Leiter der kriminologischen Forschung beim LKA Niedersachsen. "Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig anzeigen", rät Gluba. Nur dann könnten die Taten als queerfeindlich erkannt und erfasst werden.
LKA: Queere Menschen besonders von Diskriminierung betroffen
Das Landeskriminalamt hat im Zuge einer noch laufenden Studie Menschen befragt, die Minderheiten angehören. Zunächst wurden 50.000 Menschen in Hannover angeschrieben, mehr als 7.000 haben den 31-seitigen Fragebogen ausgefüllt. Weitere Gruppen seien gezielt angeschrieben worden, die Ergebnisse sind deshalb nicht repräsentativ. Ein erstes Zwischenergebnis: Auch Menschen muslimischen (65 Prozent) und jüdischen Glaubens (56 Prozent), sowie Menschen mit einer Behinderung (45 Prozent) haben überdurchschnittliche Diskriminierungserfahrungen gemacht. Keine Gruppe jedoch ist laut der LKA-Studie "Hass in der Stadt" so stark betroffen wie queere Menschen.