Mehr Vereinbarkeit für alle: Kita ohne Schließzeiten in Diepholz
Gerade in Ferienzeiten ist es für viele Familien mit Kindern herausfordernd, Beruf und Familienleben unter einen Hut zu bringen. Durch ein neues Organisationskonzept leistet eine Kita in Diepholz jetzt Pionierarbeit.
Wenn es um die Planung der Ferien geht, kommen viele Eltern mit kleinen Kindern ins Schwitzen. Viele Kitas schließen, vor allem in den Sommerferien - manche für ein paar Tage, andere für mehrere Wochen. Besonders außerhalb größerer Städte ist das ein Thema. Eine Ferienbetreuung wird zwar teilweise angeboten, oft aber mit anderen Betreuungszeiten, anderem Personal, an einem anderen Ort. Das ist gerade für kleinere Kinder nicht zumutbar, und auch die Eltern kann es vor größere logistische Herausforderungen stellen.
Zeitgemäßes Konzept

Die Leitung einer Kita im niedersächsischen Diepholz findet: Es geht auch anders. Sie hat das Projekt "Verlässliche Kita" gestartet. Die Idee: Das ganze Jahr über können Familien und Personal flexibel Urlaub nehmen. In der Kita "Senfkorn" ist das seit diesem Jahr möglich. Im ganzen Jahr gibt es dort nur sieben Schließtage: Zwischen Weihnachten und Neujahr und an Brückentagen. Leiterin Diana Schmiegel ist sich sicher, dass dieses neue Konzept viel besser in unsere heutige Zeit passt: "Familienstrukturen haben sich verändert. Heute sind meistens beide Elternteile berufstätig. Nicht jeder hat Verwandtschaft vor Ort, die die Betreuung übernehmen kann."
Mehr Flexibilität und Teilhabe - besonders für Alleinerziehende
Immer wenn die Ferien anstanden, sahen die Betreuerinnen in besorgte Gesichter. Drei Wochen, das ist aber schwierig, hieß es dann. Eine Mutter erklärt: "Mein Mann hat die ersten drei Wochen Urlaub, ich muss dann auch die ersten drei Wochen nehmen." Zudem machen einige Betriebe, in denen Eltern arbeiten, auch Ferien, an die sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anpassen müssen. "Und Alleinerziehende haben es eben doppelt schwer", ergänzt Diana Schmiegel.
Dass die Kita auch im Sommer durchgehend offen bleibt, sei ein echter Gewinn für die meisten Eltern, glaubt Mutter Samira Al Khalaf. Für ihre Familie bringt es auf jeden Fall Vorteile: "Ich habe zu meinem Mann gesagt, dass wir jetzt nicht mehr auf die Ferien angewiesen sind. Wir können auch außerhalb Urlaub nehmen - und endlich zusammen und lange." Ihr Mann habe auch nicht so viele Urlaubstage, die sie zusammen verbringen könnten. Sie könne dann mit ihrer besten Freundin oder ihren Schwestern in den Urlaub fahren - aber in den Ferien sei das eben auch besonders teuer. Sie ist daher total überzeugt von dem neuen Ansatz.
Offenes Konzept erleichtert Vieles
Auch bei den Mitarbeiterinnen kam die Idee gut an. Damit der Plan aufgeht, mussten alle ihre Urlaubswünsche angeben und gemeinsam das Jahr planen. Das hat gut funktioniert: Der vorgegebene Betreuungsschlüssel passte. Auch Krankheitsfälle, die in einer Kita ja häufiger auftreten, sind mit eingeplant. Hilfreich bei der Planung war die Größe der Kita: Mit 16 Erzieherinnen und 95 Kindern ist es sicherlich leichter, das Konzept umzusetzen als in kleinen Einrichtungen. Ein weiterer Vorteil: In der Kita "Senfkorn" gibt es keine festen Gruppen, sondern ein offenes Konzept. Alle Kinder kennen alle Erzieherinnen und haben nicht die klassischen Bezugspersonen, wie es in vielen anderen Kitas üblich ist.
Einwand: Nicht alleinige Lösung für mehr Vereinbarkeit

Doch es gibt auch kritische Stimmen zu dem Thema. Jo Lücke hält die Abschaffung fester Schließzeiten, wie im Pilotprojekt in Diepholz praktiziert, für ein zweischneidiges Schwert. Sie ist Expertin für die Themen Vereinbarkeit, Care-Arbeit und Mental Load und war zuvor im Leitungsteam des Bundesverbandes Equal Care. "Die Stärkung der Infrastruktur im Care-Bereich durch flexiblere Kita-Angebote ist grundsätzlich zu begrüßen", sagt sie. Vor allem, weil es Eltern in Berufen mit eingeschränkter Urlaubswahl helfe. Aus ihrer Sicht könne aber die ständige Verfügbarkeit von Betreuungseinrichtungen nicht allein für mehr Vereinbarkeit sorgen. Zudem seien kollektive Erholungszeiten auch für pädagogische Teams wertvoll. Dabei denkt sie auch an Teambuilding und gemeinsame Fortbildungen.
Lücke: Umgestaltung der Erwerbsarbeit dringend notwendig
Jo Lücke betont auch das Recht der Kinder auf Ferien und Familienzeit: "Kinder sollten nicht durchgehend institutionell betreut werden, nur weil die Arbeitswelt ihrer Eltern keine Pausen zulässt." Und damit kommt sie auch zum eigentlichen Lösungsansatz. Der Hebel für mehr Vereinbarkeit liege in der Umgestaltung der Erwerbsarbeit: "Mehr Spielraum für Eltern zur Betreuung ihrer Kinder, weniger Präsenzdruck am Arbeitsplatz, höhere Löhne und mehr Urlaubstage würden den Druck von Familien nehmen", sagt sie. Ihr Plädoyer: eine verlässliche Care-Infrastruktur, die Vereinbarkeit ermöglicht, ohne die Bedürfnisse von Kindern und Erziehenden zu vernachlässigen. Die Lösung könne nicht allein bei Kitas liegen. Stattdessen müsse es ein gesellschaftliches Umdenken und strukturelle Veränderungen in der Erwerbswelt geben.
Personal freut sich über neue Freiheiten
Erzieherin Maren Johnson aus der Kita "Senfkorn" ist überzeugt von der Idee ihrer Chefin und freut sich wie auch die Eltern über die neue Flexibilität: "Ich habe gesagt: Endlich! Ich habe kein Kind und Kegel zu Hause und freue mich, dass ich jetzt auch mal außerhalb der Ferien einen Urlaub planen kann." Das sei auch eine Kostenfrage. Eine Kritik an dem neuen Konzept ist bekannt: Eltern könnten Kinder tatsächlich das ganze Jahr lang in die Kita bringen - obwohl auch die Kleinsten einen Anspruch auf zwei Wochen Erholung haben.
Diese Sorge teilt Leiterin Diana Schmiegel nicht. Die meisten Eltern hätten das Wohl ihres Kindes gut im Blick, ist die Pädagogin überzeugt. Davon abgesehen müsse man immer individuell auf das Kind und die Familie schauen. Da gebe es kein Schwarz und Weiß: "Wenn ein Kind dann wirklich kontinuierlich ein Jahr lang in die Kita kommt, kann es eher diesen Erholungsanspruch nehmen als zu Hause, wo die Eltern vielleicht überfordert sind, ein Kind 14 Tage lang komplett zu betreuen. Das muss man auch immer sehen."
Der Träger, der Kindertagesstättenverband Grafschaft Diepholz, unterstützte das Projekt von Anfang an. Der Verband ist für 20 Kitas im Landkreis Diepholz zuständig, der Partnerverband Syke Hoya hat weitere elf Einrichtungen. Ende des Jahres wird das Projekt "Verlässliche Kita" evaluiert. Je nach Ergebnis kann der Verband sich vorstellen, 2026 dann auch in anderen Einrichtungen nachzuziehen.
