Kritik an Aschaffenburg-Debatte: Straftaten nicht instrumentalisieren
Mehr als 60 Strafrechtswissenschaftler haben eine Stellungnahme verfasst, in der sie die gesellschaftliche Migrations-Debatte seit der Gewalttat in Aschaffenburg kritisieren. Wo liegen die Probleme?
Susanne Beck ist Direktorin des Kriminalwissenschaftlichen Instituts der Leibniz Universität in Hannover. Zusammen mit Bernd-Dieter Meier - ebenfalls Direktor am Kriminalwissenschaftlichen Institut - hat sie eine Stellungnahme veröffentlicht.
Frau Beck, Sie fordern in dem gemeinsamen Schreiben, Taten wie die in Aschaffenburg nicht politisch zu instrumentalisieren. Warum jetzt?
Susanne Beck: Dem lag das Gefühl zugrunde, dass die Debatte möglicherweise in eine Richtung geht, die Fakten schaffen könnte, die mit Blick auf die Betrachtung von Kriminalität und die Ursachen und nachhaltige Ursachenbekämpfung nicht mehr ohne Weiteres korrigierbar sind. Aber auch das Gefühl, dass eine zusätzliche, wissenschaftliche Perspektive wichtig ist.
Was sind Ihre Beobachtungen dabei?
Beck: Zentral ging es jetzt natürlich um die Vermischung von verschiedenen Rechtsgebieten und verschiedenen Debatten. Es geht unter anderem um die Debatte mit Migration und Aufenthaltsrecht, aber auch um psychische Erkrankungen, die vermischt wird mit Fragen der Kriminalpolitik, aber auch mit aktuellen Straftaten.
Was haben Sie für Beispiele dafür?
Beck: Ein Beispiel ist die Forderung, den Nachzug von Familien zu stoppen - die quasi als Reaktion auf die Tat in Aschaffenburg aufkam. In dem Zusammenhang erscheint uns das sehr problematisch, weil der Nachzug von Familien gerade schon ein Faktor sein kann, der dazu beitragen kann, Kriminalität zu senken. Diese Verbindung von der Straftat mit der Forderung aus der Politik ist nicht ganz passend. Ein anderes Beispiel ist die Forderung, nach zwei Straftaten Menschen abzuschieben - das wurde dann zum Teil auch schon auf Bagatelldelikte - wie Schwarzfahren - übertragen. Das kann zum Beispiel den psychischen Druck auf Personen und damit möglicherweise auch Kriminalitätsrisiken erhöhen - statt sie zu senken.
Inwiefern steigt dadurch das Risiko, in die Kriminalität abzurutschen?
Beck: Neben dem starken psychischen Druck geht es dabei auch um unklare Zukunftsaussichten, keine Möglichkeit von sozialer Integration oder psychische Ausnahmesituationen. Die werden ja erhöht, wenn man Personen das Gefühl gibt, dass sie nach jedem minimalen Fehler, den sie in einer Gesellschaft machen, möglicherweise in ein Kriegsgebiet zurück müssten.
Worin sehen Sie einen Lösungsansatz, um das zu verhindern?
Beck: Das Wichtigste ist erst mal - so schwer das auch ist -, die Debatte weniger emotional zu führen. Es ist uns klar, und das geht uns natürlich auch nicht anders, dass man erstmal emotional auf Straftaten reagiert - das ist auch völlig natürlich. Dann ist aber wichtig, dass man gerade im Bereich des Strafrechts wieder zur Rationalität zurückfindet und das eben auch von anderen politischen Debatten und Forderungen trennt und dann genau schaut, was die Ursachen sind und wie wir diese nachhaltig bekämpfen können, ohne politische Schnellschüsse abzufeuern. Ein humanes Strafrecht muss erhalten werden, und es muss auch erlaubt sein, Debatten zur Bekämpfung von Ursachen zu führen, die etwas Zeit kosten.
Sie haben humanes Strafrecht angesprochen - wie sieht ein solches Strafrecht aus?
Beck: Es beinhaltet die Verhältnismäßigkeit bei der Höhe der Strafen und den Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten". Resozialisierungselemente gehören dazu, aber auch eine wissenschaftliche Einordnung des aktuellen gesellschaftlichen Diskurses: Je höher Strafen gesetzt werden, umso besser funktioniere die Abschreckung - das ist wissenschaftlich nicht erwiesen. Man kann sehen, dass Gesellschaften, die sehr massiv bestrafen und ein rohes Strafrecht haben, nicht die Kriminalität reduzieren. Eher im Gegenteil: Oft sind diese Gesellschaften rauer und Gewalt nimmt eher zu.
Stichwort Gesellschaft: Warum ist der Aufschrei bei Straftaten von Menschen mit Migrationshintergrund größer als bei Menschen, die keinen Migrationshintergrund haben?
Beck: Ich bin jetzt keine Soziologin, das sind eher Annahmen, die ich machen würde. Da ist zum einen die mediale Berichterstattung. Es ist politisch ein einfaches Mittel, eine bestimmte Gruppe auszusondern und möglicherweise stärker zu stigmatisieren, um danach Forderungen mit Blick auf die Gruppe zu erheben. Ich glaube, dass es wichtig ist, aus strafrechtlicher und aus wissenschaftlicher Sicht zu agieren und Rationalität reinzubringen. Und das andere wäre auch eigentlich Aufgabe der Politik, gegen Stigmatisierung zu steuern, statt sie noch anzufeuern.
Haben Sie denn die Tendenz, was die Sprache in der Politik angeht, erst seit Aschaffenburg wahrgenommen? Oder hat das schon weitaus früher angefangen?
Beck: Also, punitive Tendenzen gibt es in der Gesellschaft immer - auch in anderen Wahlkämpfen. Das ist jetzt nicht neu. Auch nicht, dass das Strafrecht als politisches Mittel genutzt wird. Aber die Massivität mit der einzelne Straftaten genutzt wurden, ist schon besonders auffällig. Ich persönlich höre oft Aussagen, dass die Forderungen im Namen der Opfer oder potenziellen zukünftigen Opfer erhoben werden und da würde ich eben auch sagen, wenn es wirklich um die Opfer beziehungsweise potenziell zukünftige Opfer ginge, dann müsste man da eigentlich anders rangehen.
Was wäre Ihr Lösungsvorschlag?
Beck: Ich kann leider nicht die eine perfekte Lösung aus dem Hut zaubern, dazu betreiben wir relativ komplexe Wissenschaft. Man müsste das Ursachenbündel für Kriminalität analysieren - etwa prekäre wirtschaftliche Verhältnisse, Beschäftigungslosigkeit, traumatische Erlebnisse, et cetera - und schauen, wie wir als Gesellschaft vorgehen können, diese Ursachen aufzulösen. Ich glaube aber auch eine Lösung wäre, dass Politik und Medien ein Stück weit aushalten müssen, dass Straftaten tragisch sind. Wir werden nie eine Gesellschaft ohne Kriminalität haben. Wenn man aber vernünftig über Ursachen nachdenkt, werden wir jedenfalls bessere Chancen haben, sie nachhaltig, und unter Erhaltung unserer Grundrechte und Humanität, zu senken.
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