Krieg in der Ukraine: Ein Viertel der Geflüchteten hat Jobs
Zwei Jahre nach Beginn des Angriffskrieges Russlands finden immer mehr Ukrainerinnen und Ukrainer in Niedersachsen Arbeit. Die Beschäftigungsquote ist insgesamt aber noch niedrig. Woran liegt das?
Die gute Nachricht: Im November 2023 waren in Niedersachsen 15.500 ukrainische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sozialversicherungspflichtig beschäftigt und damit 4.900 mehr als im Vorjahr. Das sind die - erst einmal erfreulichen - aktuellen Zahlen des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales. Die schlechte Nachricht: Die Beschäftigungsquote ukrainischer Staatsangehöriger in Niedersachsen beträgt nur 25,3 Prozent. Bei Männern liegt sie mit 29,7 Prozent höher als bei Frauen, von denen nur 20,3 Prozent einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen.
Gründe für die geringe Beschäftigungsquote
Die Deutschkenntnisse, aber auch die fehlende Anerkennung der ukrainischen Abschlüsse seien die Hauptgründe dafür, sagt Sigmar Walbrecht, der beim Niedersächsischen Flüchtlingsrat für den Bereich "Arbeitsmarktzugang" zuständig ist. Über 60 Prozent der 111.585 in Niedersachsen vom Ausländerzentralregister erfassten ukrainischen Staatsbürger sind weiblich, viele davon alleinstehend. "Diese Frauen haben oftmals Schwierigkeiten, Kinderbetreuung und Besuch eines Sprachkurses oder Arbeit zu vereinbaren, weil nicht selten Kinderbetreuung nicht organisiert werden kann, beziehungsweise entsprechende Angebote nicht ausreichend bestehen", so Walbrecht.
Ukrainische Geflüchtete sind gut ausgebildet
Statistiken des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zeigen dabei, dass das durchschnittliche Bildungsniveau der in Deutschland lebenden Geflüchteten aus der Ukraine deutlich höher ist, als das der Bevölkerung im Herkunftsland. Und es ist formal sogar höher als das der Bevölkerung in Deutschland. Fast Dreiviertel der Geflüchteten verfügt über einen akademischen Bildungsabschluss. Diese hohen Qualifikationen möchten sie gerne in Deutschland anwenden, sagt Walbrecht.
Bürokratie: Monatelanges Warten "hemmt die Motivation"
In der Praxis lassen sich jedoch viele deutsche Abschlüsse kaum auf das ukrainische System übertragen. So wird zum Beispiel ein Teil der Qualifikationen, die in Deutschland im dualen Ausbildungssystem erworben wird, in der Ukraine an Hochschulen vermittelt. Und das schafft Probleme bei der Anerkennung der ukrainischen Abschlüsse. "Neben dem Spracherwerb sind aus unserer Erfahrung vor allem die langen Wartezeiten und bürokratischen Hürden im Anerkennungsverfahren eine große Herausforderung", sagt Marie-Theres Volk vom "RKW Nord", die Migrantinnen und Migranten beratend unterstützt. Sie moniert die langen Bearbeitungszeiten bei zuständigen Stellen, monatelanges Warten sei keine Seltenheit. "Das hemmt die Motivation natürlich gewaltig."
Hauptsache Arbeit?
Für den Flüchtlingsrat Niedersachsen ist dies nichts Neues. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer beklagten, dass sie nicht im erlernten Bereich arbeiten könnten und das Jobcenter sie zuweilen auch "unter Druck" setze, unqualifizierte Beschäftigungen anzunehmen. Sigmar Walbrecht sagt, man müsse überlegen, "ob die Zugangsschwellen verringert werden, indem zunächst ohne förmliche Anerkennung der Qualifikation Tätigkeiten ausgeführt werden."
Mehr Sprachkurse und ausreichende Kinderbetreuung
Auch Marie-Theres Volk von der Beratungsstelle sagt: "Wir beobachten, dass viele ukrainische Fachkräfte gerne arbeiten wollen und mit viel Eigeninitiative diesen Prozess vorantreiben. Gäbe es mehr Sprachkurse, ausreichende Kinderbetreuung, effizientere Verwaltungsverfahren und vielleicht noch eine etwas größere Offenheit seitens der Unternehmen, wäre die Beschäftigungsquote sicher höher."
Wie läuft es in anderen Ländern der EU?
Doch weiterhin ist es nicht selbstverständlich, dass Lehrer oder Ärztinnen aus der Ukraine hier tatsächlich auch in ihrem Beruf arbeiten können. Und schaut man ins EU-Ausland, dann zeigt sich auch dort, dass eine höhere Beschäftigungsquote nicht bedeutet, dass mehr Ukrainerinnen und Ukrainer Arbeit entsprechend ihrer Qualifikation finden. In den Niederlanden sind etwa 70 Prozent der ukrainischen Geflüchteten sozialversicherungspflichtig beschäftigt - und damit fast dreimal mehr als in Niedersachsen. Aber: "Trotz aller quantitativen Unterschiede bei der Arbeitsaufnahme in den europäischen Ländern gibt es eine Gemeinsamkeit: Die Qualität der gefundenen Arbeit ist überwiegend niedrig", heißt es in einer für die Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführten Studieaus dem Jahr 2022. "Ukrainische Kriegsflüchtlinge nehmen überwiegend Hilfstätigkeiten an, vor allem in gering bezahlten Servicefunktionen wie dem Gaststätten- und Hotelbereich."
Jede zweite Ukrainerin kam mit mindestens einem Kind
Seit dem russischen Überfall im Februar 2022 sind mehr als 1,1 Millionen ukrainische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger nach Deutschland gekommen. In Niedersachsen sind zum Stichtag 11.02.2024 insgesamt 111.585 Personen im Ausländerzentralregister (AZR) erfasst. Einen erheblichen Teil der Geflüchteten machen Kinder und Jugendliche aus: Etwa jede zweite Ukrainerin ist mit mindestens einem Kind nach Deutschland gekommen, knapp die Hälfte dieser Kinder ist jünger als zehn Jahre. Anders, als noch zu Beginn des Krieges, beabsichtigt mittlerweile fast die Hälfte der ukrainischen Geflüchteten, längerfristig in Deutschland zu bleiben.