Mutterschutz: Selbstständige Tischlerin kämpft für gleiche Rechte
Anders als Angestellte haben selbstständige Frauen keinen Anspruch auf Mutterschutz. Häufig müssen sie bis zur Geburt arbeiten und vieles selbst zahlen. Eine Tischlerin aus Osnabrück kämpft für gleiche Bedingungen.
Johanna Röh ist eine von wenigen selbstständigen Tischlerinnen in Deutschland. Seit 2017 hat sie ihre Werkstatt in der Nähe von Osnabrück. Doch als sie vor drei Jahren schwanger wurde, hat sie gemerkt, dass es einen Wettbewerbsnachteil gibt: Im Vergleich zu ihren männlichen Mitstreitern werde sie bei der Familienplanung alleine gelassen, sagt die Tischlerin. "Für mich war ganz klar, dass ich gucken muss, ob ich es mir überhaupt leisten kann zu pausieren. Weil es keine adäquate Absicherung gibt."
"Es ist nicht vorgesehen, dass selbstständige Frauen schwanger werden"
20.000 Euro zahlt sie aus eigener Tasche, um während der Schwangerschaft mit Tochter Mila kürzer zu treten und die Fixkosten ihrer Werkstatt zu decken. Immer dabei: Die Angst, Kundinnen und Kunden zu verlieren und Baustellen nicht rechtzeitig abschließen zu können. Für angestellte Tischlerinnen gilt ein Beschäftigungsverbot. Wegen der Verletzungsgefahr wird das Risiko für Mutter und Kind als zu groß eingestuft - für Selbstständige gilt das nicht. Tischlerin Johanna Röh sagt: "Es ist nicht vorgesehen, dass selbstständige Frauen schwanger werden."
Option der freiwilligen Versicherung
Wer in Deutschland nicht angestellt, aber schwanger ist oder werden möchte, kann sich freiwillig versichern. Doch in einigen Fällen berichten Frauen davon, dass sie die Versicherungsleistungen gar nicht bekommen, weil sie beispielsweise vorerkrankt sind. Eine solidarisches Mutterschaftsgeld wie bei Angestellten gibt es bisher nicht. Deshalb kämpft Johanna Röh für gleiche Bedingungen. Mit der Geburt ihrer Tochter hat sie eine Petition im Bundestag eingereicht und hat das höchste Votum bekommen. Heißt: Alle Fraktionen halten das Thema für wichtig. Doch außer Diskussionsrunden liegen seither keine konkreten Verbesserungen vor.
5,30 Euro im Monat könnten das Problem lösen
Deshalb wird der Ruf nach einer solidarischen Umlage lauter. Das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn hat berechnet, wie das aussehen könnte: Wenn jede beziehungsweise jeder der 3,6 Millionen Selbstständigen in Deutschland im Monat 5,30 Euro einzahlt, könnte Müttern während der Mutterschutzfrist das Bruttoerwerbseinkommen ersetzt werden. Die stellvertretende Geschäftsführerin Rosemarie Kay sagt: "Eine Umlagefinanzierung stellt eine solidarische Lösung dar, die niemanden überfordert und den Wettbewerb zwischen erwerbstätigen Frauen und Männern nicht verzerrt." Bisher wird über eine solche Umlage aber lediglich diskutiert.
Staat muss dafür sorgen, dass Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben
Der Mutterschutz ist das eine. Daneben wird auch die Forderung nach einer Vertretung laut - um im ersten halben Jahr nach der Geburt bei dem Kind sein zu können. Mira Jago, Gründerin der Agentur Cuckoo Coding in Hannover, fordert einen solchen Interims-CEO. "Wir brauchen jemanden, der unsere Firma führt, in der Zeit, in der wir nicht da sind", sagt sie. Dabei verweist die darauf, dass mittelständische Unternehmen dem Staat viel Geld zahlen. Es sei also auch die Aufgabe des Staates dafür zu sorgen, dass die Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben.
Frauen stehen oft vor der Wahl: Kind oder Selbstständigkeit
Das Unternehmen von Mira Jargo entwickelt Apps für die Digitalisierung der Verwaltung - ein Bereich, in dem es viele männliche Gründer gibt. "Das hat damit zu tun, dass wir Frauen in unseren 30ern vor der Frage stehen, eine Firma zu gründen oder Kinder zu kommen. Beides zu kombinieren ist immer noch schwierig."
Selbstständige Schwangere geplagt von Existenzängsten
Was das heißt, weiß die Gründerin aus eigener Erfahrung. Existenzängste haben während ihrer Schwangerschaft eine große Rolle gespielt. "Ich habe noch nie so viel gearbeitet, wie in dieser Zeit", erinnert sie sich. Um sich abzusichern, schreibt sie während ihrer Schwangerschaft ein Buch, arbeitet bis zwei Tage vor der Geburt und ist schon zwei Wochen, nachdem Tochter Ada zur Welt gekommen ist, wieder für Kundinnen und Kunden erreichbar. Das müsse sich ändern, sagt Mira Jago. Denn es sei wichtig, die Sichtbarkeit von Frauen in der Branche zu fördern. Frauen dürften nicht länger vor der Wahl "Kind oder Selbstständigkeit" stehen.