Der Schriftzug über dem Eingang der "Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie" des Hamburger Univesitätsklinikums Hamburg Eppendorf (UKE). © picture alliance / dpa Foto: Georg Wendt

Kapazitäten erschöpft: Keine Hilfe für "Systemsprenger"?

Stand: 03.11.2023 07:01 Uhr

Psychisch kranke Kinder und Jugendliche finden zunehmend schlechter Hilfe. Für ganz schwere Fälle gibt es kaum noch Plätze. Die Jugendhilfe der Region Hannover spricht von einem überforderten System.

von Christina Harland

Wohin mit Kindern und Jugendlichen, die alle Helfersysteme sprengen? Wohin mit jungen Menschen in Not, wenn alle Kapazitäten erschöpft sind? Fragen, die die Sozialdezernentin der Region Hannover, Andrea Hanke, umtreiben. Ihre Jugendhilfe ist, wie so viele Jugendbehörden im Land, am Limit, erzählt sie am Rande einer Fachtagung, zu der sie in Hannover eingeladen hat: "Wir haben unsere Kapazitätsgrenzen längst erreicht. Ich sorge mich, was mit den Kindern und Jugendlichen geschieht, wenn sie keine Hilfe bekommen."

Es fehlt an Personal und guten Konzepten

Hanke beschreibt, wie Kinder und Jugendliche mit psychischen Belastungen und herausforderndem Verhalten das bestehende System überfordern. Es fehle Personal und es mangele an guten Konzepten für die besonders harten Fälle, eine klaffende Versorgungslücke. Das Ergebnis: "Kinder und Jugendliche werden zwischen Jugendhilfe und Psychiatrie hin- und hergereicht." "Drehtüreffekt" nennen Fachleute das Phänomen, wenn die jungen Menschen von einer Wohngruppe zur nächsten wechseln und immer wieder stationär in der Psychiatrie aufgenommen werden müssen, weil das Helfersystem sie nicht halten kann. Eine Situation, die für alle schwer auszuhalten ist - für die Betroffenen, ihre Eltern, die Schule, für das ohnehin belastete Personal in Wohngruppen und auf psychiatrischen Stationen.

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Zahl der "Systemsprenger" steigt

Während einerseits hart um Fachpersonal gekämpft werde, steige andererseits der Bedarf. Die Jugendhilfe sei mit einer zunehmenden Zahl junger Menschen konfrontiert, die ihre Helfer herausforderten, so Hanke. Menno Baumann, Professor für Intensivpädagogik an der Fliedner Hochschule in Düsseldorf, teilt bei der Tagung seine Erfahrungen mit diesen Fällen und nennt Zahlen. Hat er in einer Studie von 2010 noch 410 "Systemsprenger" in Niedersachsen gezählt, geht er von aktuell rund 600 aus. Als "Systemsprenger" werden Kinder und Jugendliche bezeichnet, die sich so auffällig verhalten, dass sie bei der Unterstützung und Betreuung durch alle Raster fallen.

In großer Not sich selbst überlassen

Diese "Systemsprenger" benötigten ein besonders verlässliches Umfeld ein belastbares System und pro Kopf bis zu sechs Betreuer am Tag. Das sei aktuell offenbar vielerorts kaum umsetzbar. Im Ergebnis blieben viele Kinder und Jugendliche in großer Not sich selbst überlassen, schildern Jugendhelfer an Beispielen. Das sei fatal für die Betroffenen, häufig aber auch kaum auszuhalten für ihr Umfeld, für Elternhaus und Schule. Manche blieben jahrelang im Bett, verletzten sich oder andere, würden straffällig - und landeten immer wieder in der psychiatrischen Notaufnahme der ohnehin schon überfüllten Kinder- und Jugendpsychiatrien.

Verwahrung statt Hilfe?

"Statt passgenauer Angebote geht es nur noch um das Vorhandensein von Angeboten. So landen Kinder und Jugendliche in unsteten Systemen mit wechselnden Beziehungen", kritisiert auch Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD). Er sieht dringenden Handlungsbedarf und erkennt Land und Kommunen in der Verantwortung, für bessere Synergien und passgenauere Angebote zu sorgen. Andrea Hanke hofft auf bessere Verzahnung zwischen Jugendämtern und Psychiatrie. Gemeinsam müssten neue, individuell ausgerichtete Angebote aufgelegt werden, die die schwierigen Fälle erreichten.

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