Immer mehr Geflüchtete beginnen eine Ausbildung
Viele Betriebe suchen Auszubildende und fragen sich: Bringen Geflüchtete die richtigen Qualifikationen mit? So mancher Betrieb sagt angesichts niedriger Bewerberzahlen: Wir probieren es. Mut braucht es auf beiden Seiten.
Immer mehr Geflüchtete machen eine Ausbildung. Das belegen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit: Von den insgesamt 157.844 Auszubildenden, die Ende 2022 in Niedersachsen tätig waren, kamen 5.552 aus einem der acht wichtigsten Asylherkunftsländer (Syrien, Irak, Afghanistan, Iran, Somalia, Pakistan, Eritrea und Nigeria). Zum Vergleich vor der Fluchtphase: Ende 2014 gab es nur 466 Azubis aus den acht Herkunftsländern. Bei dem Anstieg um rund 5.000 dürfte es sich laut Bundesagentur für Arbeit also um junge Menschen mit Fluchterfahrung handeln. "Bei den Geflüchteten aus den Asylherkunftsländern hat es auch einige Zeit in Anspruch genommen, bis sie 'angekommen' und sprachlich auf einem ausreichenden Niveau waren, dass sie als Bewerberinnen und Bewerber in Frage kommen", sagt Sonja Kazma von der Bundesagentur für Arbeit.
Erster Schritt: Deutsche Sprache lernen
So erging es Khodadad Keya aus Afghanistan, der eine Ausbildung zum Elektriker macht. Bis zu seiner Ausbildung war es ein weiter Weg. Die ersten Jahre ging es vor allem darum, die deutsche Sprache zu erlernen. "Der Deutsche braucht zehn Minuten Zeit für eine Aufgabe, der Ausländer wie ich, der kein perfektes Deutsch spricht, braucht 30 Minuten", sagt er im Gespräch mit dem NDR in Niedersachsen.
Ukraine noch nicht relevant für den Ausbildungsmarkt
Ein Anstieg von Auszubildenden aus der Ukraine beobachtet die Bundesagentur für Arbeit derzeit noch nicht. Gründe dafür seien noch zu geringe Sprachkenntnisse. Außerdem ist das duale Ausbildungssystem wenig bekannt, der Fokus bei den Geflüchteten liegt deshalb eher auf der schulischen Ausbildung.
Beliebte Branchen
Azubis aus den Herkunftsländern der meisten Geflüchteten finden sich laut Bundesagentur für Arbeit überdurchschnittlich häufig in folgenden Wirtschaftszweigen:
- Baugewerbe
- Handel und Reparatur von Kraftfahrzeugen
- Gesundheits- und Sozialwesen
Dennoch: Geflüchtete finden seltener einen Ausbildungsplatz
Verglichen mit den bei der Bundesagentur registrierten Deutschen finden geflüchtete Jugendliche allerdings noch immer seltener einen Ausbildungsplatz als der Durchschnitt. "Hier sieht man, dass sie es schwerer haben und am Ende auch häufiger leer ausgehen", sagt Kazma. Gründe hierfür seien vor allem, dass Arbeitgeber einen zu hohen Betreuungsaufwand fürchten oder der Abschluss wegen mangelnder Sprachkenntnisse gefährdet ist. Beide Sorgen seien durchaus berechtigt. Aber es gilt auch: "Betriebe können es sich schlicht nicht mehr leisten, auf Jugendliche zu hoffen, die alle Voraussetzungen mitbringen. Unsere Empfehlung ist, dass Betriebe auch Jugendlichen mit Schwächen eine Chance geben sollten", so Kazma.
IHK nimmt wachsendes Interesse der Unternehmen wahr
Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Hannover nimmt ein wachsendes Interesse von Menschen mit Fluchterfahrungen an Ausbildungsberufen wahr. Die Geschäftsführerin Maike Bielfeldt spricht von einem Umkehrtrend: "Wir haben dieses Jahr erstmalig syrische Auszubildende. Früher waren es oft türkische Jugendliche, oder auch spanische oder polnische, die hier eine Ausbildung gemacht haben. Wir haben auch noch viele andere, die gerne zu uns kommen wollen."
Rechtliche Situation kompliziert
Bielfeldt wünscht sich deshalb mehr Klarheit, was den Aufenthaltsstatus der Geflüchteten angeht. Denn die rechtliche Situation ist kompliziert. So sind schulische Berufsausbildungen für Asylsuchende und Geduldete immer möglich und müssen nicht durch die Ausländerbehörde genehmigt werden. Für eine duale Ausbildung jedoch braucht es eine Erlaubnis der Ausländerbehörde. Die finanzielle Situation der Geflüchteten in Ausbildung hat sich mit Änderung des Asylbewerberleistungsgesetztes 2019 gebessert: Personen im Asylverfahren, die eine betriebliche oder schulische Ausbildung machen oder ein Studium aufnehmen, erhalten weiterhin Leistungen.
Flüchtlingsrat fordert Schulrecht
Die bürokratischen und rechtlichen Hürden sieht auch der niedersächsische Flüchtlingsrat als große Herausforderung. Zusätzlich mache es die Sprachbarriere oft schwer, dem Unterricht an der Berufsschule zu folgen, sagt Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. Für über 18-Jährige sei es schwierig, an kostenlose Sprachkurse zu kommen. Der Flüchtlingsrat fordert deswegen ein Schulrecht, auch für Volljährige. Das fördere die Integration und Sprachförderung.
Unwissen über das System "Ausbildung"
Walbrecht sagt, dass es vielen jungen Leuten nicht bewusst sei, wie lange und aufwendig eine Ausbildung ist. "Eine Ausbildung drei Jahre durchzuhalten, ist ein hartes Brett." Diese Erfahrung macht auch Lydia Vaske. Sie ist eine von drei sogenannten Willkommenslotsinnen bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen und bemüht sich, Geflüchtete in eine Arbeit oder eine Ausbildung in grünen Berufen zu vermitteln. Das geht nach ihrer Erfahrung nur mit einem großen Netzwerk. Sie ist deshalb regelmäßig unter anderem mit der Agentur für Arbeit, dem Jobcenter sowie den Integrationsbeauftragten der Landkreise in Kontakt. "Es lohnt sich für jeden einzelnen. Auch wenn der Aufwand hoch ist. Die Menschen sind Multiplikatoren für die Arbeit. Und es wird zunehmend mehr. Was dann natürlich auch mehr wird, ist die Betreuung in den Betrieben, durch die Fachkräfte und Helfer.“
Geflüchtete Azubis müssen vieles allein schaffen
Weiterhin ist zu bedenken, dass Geflüchtete oftmals keine Familie in Deutschland haben. Sie wohnen daher nicht "zu Hause" und haben auch niemanden, der beim Lernen hilft. Zusätzlich weist der Flüchtlingsrat darauf hin, dass Geflüchtete oft benachteiligt sind: Sie haben mit Verfolgungs- oder Fluchterlebnissen zu tun und leben teilweise auf engem Raum in Gemeinschaftsunterkünften.
Eigene Wohnung für Raum zum Lernen
Das kennt Khodadad Keya aus Afghanistan nur allzu gut. Erst eine eigene Wohnung gab ihm den Raum, den er brauchte, um in Ruhe für seine Ausbildung zu lernen. Denn auch an den Wochenenden paukt er, um im Dezember dann seine Abschlussprüfung zu schaffen.