Genitalverstümmelung: Betroffene Frauen leiden lebenslang
Der 6. Februar ist der internationale Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung. Auch in Niedersachsen gibt es viele Betroffene. Das Thema ist zum ersten Mal Teil des Hebammen-Studiengangs der MHH.
Für betroffene Frauen bedeutet die Genitalverstümmelung lebenslange Qualen. "Es dauert lange auf Toilette zu gehen. Dabei habe ich Schmerzen, auch bei der Menstruation und bei der Geburt gibt es Komplikationen. Man ist behindert", sagt Naima Mohamed, die aus Somalia nach Deutschland gekommen ist. Gemeinsam mit Rassy Barry und Sôlematou Syllo nimmt sie am Seminar im Studiengang für Hebammenwissenschaften an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) teil. Die Frauen haben eines gemeinsam: In ihren Heimatländern wurden sie unter massiven Schmerzen "beschnitten". Das heißt: ihre äußeren Genitalien wurden teilweise oder vollständig entfernt oder verletzt - ohne medizinischen Grund. Im Hebammen-Studiengang sitzen sie nun, um ihre Geschichte zu teilen und aufzuklären.
Mehr als 8.000 Mädchen und Frauen in Niedersachsen betroffen
Das Thema ist auch in Deutschland angekommen. Die Frauenrechtsorganisation "Terre des Femmes" geht davon aus, dass in Niedersachsen 5.374 betroffene Frauen und 2.794 betroffene Mädchen leben. Rund 1.300 Minderjährige gelten als gefährdet. Das bedeutet: Es besteht die Gefahr, dass sie in Deutschland oder im Ausland verstümmelt werden könnten. Denn obwohl Genitalverstümmelung in den meisten Ländern weltweit unter Strafe steht, wird sie noch immer praktiziert. Häufig in Staaten in Asien, dem Mittleren Osten, Afrika und Südamerika. Mädchen können in einem Alter von wenigen Monaten bis hin zu 14 Jahren betroffen sein.
Unterschieden werden drei Typen:
- Typ 1: Die Klitoris wird entfernt.
- Typ 2: Die Klitoris und die Vulvalippen werden entfernt.
- Typ 3: Die Klitoris und die Vulvalippen werden entfernt und die Vagina der Frau wird zugenäht.
Hohes Infektionsrisiko bei Geburten
Gerade wenn Betroffene Kinder zur Welt bringen, kann es zu Schwierigkeiten kommen, weiß Mechthild Groß, Professorin für Hebammenwissenschaften an der MHH: "Die Frauen haben ein erhöhtes Infektionsrisiko. Es gibt aber auch ein höheres Risiko für einen Kaiserschnitt." Dabei gibt es durchaus die Möglichkeit, dass die Frauen ihr Kind vaginal zur Welt bringen. Dafür braucht es aber genügend Vorbereitungszeit. Und einen sensiblen Umgang mit den Frauen. Denn viele seien schwer traumatisiert, weiß Kass Kasadi vom Verein Baobab in Hannover. Er selbst setzt sich seit mehr als einem Jahrzehnt gegen Genitalverstümmelung und Zwangsheirat ein. Und das bedeutet für ihn auch: Angehende Hebammen müssen über die Folgen der Verstümmelung aufgeklärt sein. Kasadi spricht von einem Kampf gegen patriarchale Gewalt, den viele Frauen in Deutschland beginnen.
Aufklärung ist der Schlüssel zur Veränderung
Häufig falle den Frauen erst in Deutschland auf, dass ihnen Gewalt angetan wurde. Die Beschneidung im Heimatland hat oft traditionelle Gründe. Es gehe darum zu unterdrücken, zu beherrschen, sagt Kasadi. Frauen, die nicht verstümmelt wurden, würden ausgegrenzt - damit entstehe auch eine Art Gruppenzwang, berichten die Betroffenen. "Mir ist erst in Deutschland richtig bewusst geworden, dass das, was mir passiert ist, nicht in Ordnung ist", sagt Naima Mohamed. Sie setzt sich deshalb auch dafür ein, dass junge Mädchen in ihrem Heimatland Somalia ihr Schicksal nicht erleiden. Und dass auch hier in Deutschland entsprechende Aufklärung stattfindet.
Fälle von Verstümmelung auch in Niedersachsen
Aufklärung ist wichtig, weiß man auch im Sozialministerium in Niedersachsen. Zwar steht Genitalverstümmelung auch in Deutschland unter Strafe, dennoch werden immer wieder Fälle bekannt. In der Zeit von 2013 bis 2022 wurden in Niedersachsen vier Ermittlungsverfahren eingeleitet. "Drei der Verfahren wurden eingestellt beziehungsweise es wurde von einer strafrechtlichen Verfolgung abgesehen", sagte eine Sprecherin dem NDR Niedersachsen. Beim vierten Verfahren handelt es sich um eine Auslandstat - ein Urteil stehe noch aus.
Auch Männer in der Pflicht
Kass Kasadi vom Verein Baobab ist überzeugt: Für den Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung müssen die Menschen in Deutschland besser aufgeklärt sein. "Nur so können die Mädchen geschützt werden." Er sieht aber auch die Männer in der Pflicht, die in ihren Heimatländern gelernt haben, dass nur eine beschnittene Frau eine reine Frau sei. "Männer müssen sich weigern, das zu akzeptieren."
Genitalverstümmelung kein Pflichtbestandteil in Ausbildung
Für die Betroffenen ist die Aufklärung von allen Teilen der Gesellschaft deshalb auch ein Schritt, Genitalverstümmelung grundsätzlich zu verhindern, sagen sie. Bisher ist das Thema Genitalverstümmelung kein Pflichtbestandteil der Ausbildung von medizinischem Personal. Nur vereinzelt gibt es Fortbildungen. Mechthild Groß, Professorin für Hebammenwissenschaften an der MHH lobt, dass das Thema jetzt auch Eingang in den Hebammen-Studiengang findet. "Es ist wichtig, keine Berührungsangst zu haben und gut auf den Kontakt mit den Frauen vorbereitet zu sein", sagt sie im Gespräch mit den Studierenden.
"Thema in die Mitte der Gesellschaft holen"
Und auch die jungen Hebammen nehmen viel aus dem Seminar mit: "Jetzt wird einem noch mal bewusst, dass das wirklich etwas ist, das uns betrifft. Was uns auf jeden Fall in unserer Arbeit betreffen wird", sagt Studentin Jantje Blume. Naima Mohamed, Rassy Barry und Sôlematou Syllo sind ihrem Ziel, das Thema in die Mitte der Gesellschaft zu holen, nach diesem Seminar also einen Schritt näher gekommen.