Gefährden Finanzlücken Weiterbildung für Psychotherapeuten?
Eine Reform der Psychotherapeutenausbildung sollte auch in Niedersachsen den Nachwuchs in dem Fach sichern. Finanzierungslücken erschweren aber den Weg zum Abschluss der Weiterbildung.
Frauke Nickel hat ihren Beruf und ihre Berufung gefunden. Die 24-Jährige will Menschen in psychischen Krisen helfen. Doch aktuell werden ihr dabei Steine in den Weg gelegt. Frauke Nickel ist eine der ersten Absolventen in Niedersachsen, die nach der Reform des Psychotherapeutengesetzes ausgebildet werden. Fünf Jahre Studium in Osnabrück hat sie fast hinter sich und möchte bald eine fünfjährige Weiterbildung zur Fachpsychotherapeutin machen: "Ohne die Weiterbildung kann ich keine eigenen Fälle übernehmen oder Langzeitverläufe beobachten, die für meine Spezialisierung wichtig wären," sagt sie. Doch die in der Reform versprochenen Weiterbildungsplätze gibt es bisher nicht.
Nachwuchs kämpft um Weiterbildungsplätze
So wie Frauke Nickel geht es vielen Nachwuchskräften. Bundesweit demonstriert sie seit Monaten mit vielen weiteren Betroffenen. Sie fordern eine Finanzierung der Weiterbildung nach dem neuen Gesetz. Allein in Niedersachsen werden in den nächsten fünf Jahren 1.200 solcher Weiterbildungsplätze benötigt. Viele Institute, Kliniken und Praxen würden gern solche Plätze anbieten, aber es gibt ein Problem: Die Einnahmen aus der Patientenbehandlung reichen nicht aus, um den Weiterbildungskandidaten ein angemessenes Gehalt zu bezahlen und auch die Kosten für die Inhalte wie Theorievermittlung oder Behandlungssupervision zu decken.
Reform bereits 2019 beschlossen
Dabei steigt die Zahl der Menschen, die psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen auch in Niedersachsen stetig. Im Herbst 2019 hatten Bundestag und Bundesrat eine Reform der Aus- und Weiterbildung beschlossen. Um Psychotherapeut zu werden, musste man bisher nach einem fünfjährigen Psychologiestudium eine dreijährige Ausbildung machen und dabei die Ausbildungskosten aus eigener Tasche zahlen. Je nach Fachrichtung mussten Auszubildende eigenständig bis zu 60.000 Euro aufbringen.
Familie unterstützt finanziell
Jonas Negenborn hat vor der Reform mit dem Studium begonnen und absolviert die Ausbildung aktuell auf eigene Kosten. Leisten kann er sich das nur durch Ersparnisse und die finanzielle Unterstützung seiner Familie, die habe aber nicht jeder: "Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die Kredite aufnehmen, um die Ausbildung zu finanzieren, und die mit Schulden in den Beruf starten." Der Sprecher für Psychotherapeuten in Ausbildung hatte sich deshalb jahrelang für eine Reform eingesetzt, ist jetzt aber enttäuscht: "Kinder, Jugendliche und Erwachsene verdienen eine gute psychische Betreuung, aber es fehlt an den notwendigen Maßnahmen der Regierung."
Neuer Studiengang soll Ausbildung attraktiver machen
Die Reform der Psychotherapeutenausbildung aus dem Jahr 2019 versprach Besserung. Ein neuer Studiengang sollte die Hürden senken und die Ausbildung attraktiver machen. Studierende, die diesen Weg einschlagen, erhalten nach fünf Jahren Studium bereits eine Approbation. Diese ermöglicht es, Patienten zu behandeln. Um die nötige Fachkenntnis zu erlangen und in eigener Praxis auch gesetzlich Versicherte zu behandeln, ist die fünfjährige Weiterbildung notwendig. Anders als früher soll den Weiterbildungskandidaten nun ein angemessenes Gehalt gezahlt und die Kosten für Weiterbildungsinhalte gedeckt werden.
Krankenkassen sehen den Bedarf nicht
Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) bezeichnete es als "Skandal", dass das System derart lückenhaft sei, obwohl die Nachfrage nach Psychotherapie kontinuierlich steige. Doch das zuständige Bundesgesundheitsministerium sieht die gesetzlichen Krankenkassen in der Pflicht, die Finanzierung zu übernehmen. Die Krankenkassen wiederum berufen sich auf ihre bestehenden Leistungen und sehen den Bedarf an einer zusätzlichen Weiterbildungsförderung nicht. Der Grund: Sie würden den Mangel an Therapeuten nicht in gleichem Ausmaß wahrnehmen, heißt es auf Anfrage von NDR Niedersachsen.
Psychotherapeutenkammer warnt vor Folgen
Laut der niedersächsischen Psychotherapeutenkammer führt das Versäumnis, zeitnah ausreichend Weiterbildungsplätze zu schaffen, langfristig zu erheblichen Kosten für Gesellschaft und Wirtschaft, da psychische Erkrankungen unbehandelt bleiben würden. Zudem warnt die Kammer, dass lange Wartezeiten für einen Ausbildungsbeginn dazu führen könnten, dass immer mehr Absolventen sich beruflich umorientieren und das Interesse am neuen Studiengang Psychotherapie nachlässt. Dies führe auf lange Sicht zu einem deutlichen Mangel an psychotherapeutischem Nachwuchs. Sich beruflich umzuorientieren, kommt für Frauke Nickel nicht in Frage - zu viel hat sie bisher in ihren Berufswunsch investiert. Sie will weiter dafür kämpfen, bald einen Weiterbildungsplatz zu bekommen, um Menschen in Krisen helfen zu können.