VIDEO: Auf der Spur von Niedersachsens letzten Feldhamstern (3 Min)

Feldhamster-Population um 99 Prozent zurückgegangen - aber warum?

Stand: 22.05.2023 06:21 Uhr

Städter bekommen ihn nie zu Gesicht. Auch auf dem Land ist die Wahrscheinlichkeit, einen Feldhamster zu entdecken, mittlerweile äußerst gering. Die Population ist seit den 1950er-Jahren um 99 Prozent zurückgegangen.

von Marc Wichert

Davon geht die Wissenschaftlerin Stefanie Monecke von der Ludwig-Maximilians-Universität München aus. Die Biologin war über 15 Jahre hauptverantwortlich für die Feldhamsterzuchten der Universitäten Stuttgart und Strasbourg und sagt laut Naturschutzbund (NABU): "Aktuell befindet sich die Art im Prozess des Aussterbens." In der EU ist die Art seit den 1990er-Jahren geschützt, seit 2020 steht der kleine Nager auch auf der weltweiten Roten Liste in der höchsten Kategorie. Damit gilt er auch offiziell als unmittelbar vom Aussterben bedroht. In Niedersachsen einst weit verbreitet, besiedelt der Feldhamster heute fast nur noch die fruchtbaren Böden der Braunschweiger, Hildesheimer und Calenberger Börde, so das Projekt "Feldhamsterland". Dessen Ziel ist es, den dramatischen Rückgang des Feldhamsters in fünf Projektregionen (Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen) aufzuhalten. Denn laut NABU könnten Feldhamster in 30 Jahren endgültig verschwunden sein. Um zu verstehen, warum diese Tiere so selten geworden sind, muss man vor allem Nahrung und Lebensraum der Nagetiere betrachten.

Mangelernährung wegen Monokulturen von Mais und Raps

Vor Tausenden Jahren noch in den weiten Steppen im Osten heimisch, haben sich Feldhamster parallel zur sich ausbreitenden Landwirtschaft nach und nach auf Getreidefelder spezialisiert. Hier finden sie Schutz und Nahrung, graben weitverzweigte, bis zu zwei Meter tiefe Baue. Doch wo früher die Landwirtschaft von kleinen Äckern mit unterschiedlichen Feldfrüchten geprägt war, stehen heute oft Monokulturen mit Mais und Raps auf riesigen Flächen, so der NABU. Eine Folge: Mangelernährung. Denn Feldhamster fressen nicht nur Getreide, sondern auch Feldpflanzen aller Art, aber auch kleine Tiere wie Insekten und Regenwürmer. Und für ihren Winterschlaf, den sie regelmäßig alle paar Tage unterbrechen, um zu fressen, legen sie neben Getreide auch Wildkrautsamen, Hülsenfrüchte sowie Stücke von Rüben und Kartoffeln an.

Feldhamster oft schon im Sommer ohne Deckung

Ein weiterer Grund für den Rückgang der Population ist laut NABU die häufigere Saat von schnellreifenden Getreidevarianten. Das führe zu immer früheren Ernten, so dass Feldhamster oft schon im Juli ohne jegliche Deckung vor Räubern dastehen - also lange vor dem Winterschlaf im Oktober. Fressfeinde wie Uhu, Rotmilan und Mäusebussard haben dann leichtes Spiel. Zudem bleibe durch die heutigen Erntemaschinen für den Hamster nahezu kein Futter mehr übrig, das er als Wintervorrat ansammeln könnte, schreibt das Bundesamt für Naturschutz.

Inzucht und genetische Verarmung wegen kleinerer Population

Fatal für die Population der Feldhamster sei zudem die zunehmende Zersiedelung: Wo Gebäude und Straßen auf der Fläche von Äckern entstehen, verkleinert sich der Lebensraum. Aber auch die Aufforstung sorge für einen Verlust von Lebensräumen, schreibt das Bundesamt für Naturschutz. "Eine gesunde, sich selbst erhaltende Population mit fünf bis acht Individuen pro Hektar benötigt mindestens 20 Hektar unzerschnittene Feldfläche", zitiert der NABU die Wissenschaftlerin Stefanie Monecke aus München. Kleinere Populationen litten unter Inzucht und genetischer Verarmung.

Der Feldhamster

Alter: bis zu vier Jahre
Gewicht: 400-500 Gramm
Größe: 20-35 cm
Nahrung: Feldfrüchte, Gräser und Kräuter, Insekten
Feinde: Füchse, Raubvögel
Bestand: 10.000 bis 50.000 in Deutschland

Schadet künstliches Licht den Feldhamstern?

Als Hauptgrund für den Rückgang der Population jedoch macht Monecke eine stetig sinkende Fortpflanzungsrate aus. Brachte ein Muttertier in den 1950er-Jahren noch zwei- bis dreimal im Jahr bis zu zehn Junge zur Welt, seien es heutzutage nur noch drei bis vier Jungtiere bei ein bis zwei Würfen. Doch wie lässt sich das erklären? Laut Monecke kommen die Tiere heutzutage oft erst Mitte Mai statt wie früher Anfang April aus ihrem Winterschlaf. Das bedeute wiederum weniger Nachwuchs. Die Ursache für die Verschiebung sei unklar. Möglicherweise werde durch eine wachsende Lichtverschmutzung, also künstliches Licht, die innere Jahresuhr des Feldhamsters durcheinandergebracht. Doch das sei nicht mehr als eine Mutmaßung, räumt Monecke ein. Hier sei viel Forschung nötig. Sonst könnte es sein, dass es die Nager in 30 Jahren nicht mehr gibt.

Feldhamster: Weitere Gründe für Rückgang der Population

Das Bundesamt für Naturschutz hat eine Vielzahl weiterer Faktoren ermittelt, die zum Rückgang der Feldhamster-Population beitragen. Dazu gehören unter anderem:

  • Die Intensivierung der Landwirtschaft (höhere Bearbeitungsintensität und -häufigkeit, schnellere Arbeitsfolge, Vorverlegung des Erntezeitraums, zu tiefes Pflügen)
  • Die Veränderung und Verarmung des Fruchtartenspektrums (Rückgang des Getreideanbaus zugunsten von Sonderkulturen und Hackfrüchten, Rückgang beziehungsweise Verschwinden mehrjähriger Feldfutterkulturen)
  • Die Bodenbearbeitung direkt nach der Ernte (erschwertes Eintragen von Wintervorräten für den Feldhamster, denn der Sammeltrieb beginnt erst nach der Fortpflanzungszeit im Sommer)
  • Der Einsatz von Bioziden und Düngemitteln

Weitere Informationen
Ein Feldhamster sitzt aufrecht im Gras. © picture alliance/blickwinkel Foto: S. Meyers

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