Europawahl 2024: Verschenkte Stimmen ausländischer EU-Bürger
Bei Europawahlen sind auch ausländische EU-Bürger, die in Deutschland leben, zum Wählen aufgerufen. Aber nur wenige geben ihre Stimme für Deutschland ab. Eine italienische Community in Wolfsburg weiß, woran das liegen könnte.
Die Stadt Wolfsburg ist nicht nur als Autostadt bekannt, sondern auch als größte italienische Stadt nördlich der Alpen. Dank einer langen Gastarbeitergeschichte. Noch heute leben mehr als 5.000 italienische Staatsbürger in Wolfsburg. Anders als zum Beispiel bei der Bundestagswahl, sind sie bei der anstehenden Europawahl wahlberechtigt. Und auch alle anderen ausländischen EU-Bürger und Bürgerinnen, sofern sie mindestens 16 Jahre alt sind.
"Europa ist Frieden und Freiheit"
Einer, der seit mehr als 50 Jahren in Wolfsburg zu Hause ist, ist Franco Garippo. Der 66-jährige Italiener war praktisch sein ganzes Berufsleben bei Volkswagen. Heute ist er ehrenamtlicher Politiker als SPD-Ortsbürgermeister von Kästorf, einem kleinen Stadtteil von Wolfsburg. Vor fünf Jahren hat er selbst fürs Europaparlament kandidiert. "Ich verbinde mit Europa Frieden, Freiheit und Wohlstand", sagt er. Deswegen wird er auch in diesem Jahr wieder zur Europawahl gehen. Er weiß aber, dass viele Italienerinnen und Italiener, die hier leben, ihre Stimme nicht nutzen. Das habe mehrere Gründe.
Europawahl 2024: Wer wählen will, muss im Wählerverzeichnis stehen
Wenn ausländische EU-Bürger wie zum Beispiel Italiener, Rumänen oder Polen in Deutschland an der Europawahl teilnehmen und auch Abgeordnete aus Deutschland wählen möchten, dann müssen sie im deutschen Wählerverzeichnis eintragen sein. Dafür müssen sie sich selbst bei ihrer Kommune melden und darum bitten, ins Verzeichnis aufgenommen zu werden. Laut Schätzung des Statistischen Bundesamts sind etwa 4,1 Millionen ausländische EU-Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bei der kommenden Europawahl berechtigt, ihre Stimme abzugeben. Im deutschen Wählerverzeichnis sind nach Angaben der Bundeswahlleiterin aktuell nur gut 200.000 von ihnen eingetragen. Also gerade mal etwas mehr als fünf Prozent.
Nur wenige Stimmen von ausländischen EU-Bürgern
Die größte ausländische Gruppe im deutschen Wählerverzeichnis sind Italiener. Laut Bundeswahlleiterin sind es rund 37.000. Gemessen an mehr als einer halben Million italienischen Staatsbürgern in Deutschland ist aber auch das wenig. Für Garippo gibt es dafür zwei Ursachen. Zum einen seien die Europaabgeordneten selten präsent: "Wenn ich Glück habe, dann habe ich einen Europaabgeordneten vielleicht einmal kurz vor der Wahl gesehen", sagt er. Zum anderen liege es am Wahlkampf an sich: "Wenn ich Politikern sage, dass sie den Wählerkreis der Italiener oder generell der ausländischen EU-Bürger ansprechen sollen, dann tun sie sich noch schwerer als bei den Deutschen", meint Garippo.
"Verschenkte Stimmen" aus ausländischen Communitys
Dabei sei es so wichtig, dass sich die Politikerinnen und Politiker auch mehr um die ausländischen Communitys kümmern. "Ein Europaabgeordneter sollte der Repräsentant für alle sein, nicht für die deutschen Wähler", so Garippo. Am Ende seien das wichtige und "verschenkte Stimmen".
Ausländische EU-Bürger dürfen für ihr Heimatland wählen
Es kann aber auch sein, dass eben nicht für deutsche Europaabgeordnete abgestimmt wird, sondern für die Landsleute. Alle wahlberechtigten EU-Bürger und Bürgerinnen mit ausländischer Staatsangehörigkeit können grundsätzlich für ihr Heimatland wählen. Die Italiener in Wolfsburg könnten dafür zum Beispiel ins italienische Konsulat gehen. Aus der Community von Franco Garippo würden viele aber auch diese Chance liegen lassen.
Mit doppelter Staatsbürgerschaft auch doppelt wählen gehen?
EU-Bürger und Bürgerinnen mit zwei Staatsangehörigkeiten könnten theoretisch sogar zweimal wählen, sofern sie zwei Pässe besitzen. Als Beispiel: Ein Deutsch-Italiener könnte für Deutschland und Italien wählen. Nach dem EU-Recht steht ihm aber eigentlich nur eine Stimme zu. Das Problem: Für den Informationsaustausch bei doppelter Staatsangehörigkeit haben die EU und die Gesetzgeber in den Mitgliedstaaten bisher keine Rechtsgrundlage geschaffen, erklärt die Bundeswahlleiterin. Zweimal zu wählen, ist dennoch eine Straftat.
"Wer das Recht hat, hat auch die Pflicht, wählen zu gehen"
Trotz aller Hürden animiert Franco Garippo seine italienische Community jedes Mal, zur Wahl zu gehen. "Wir genießen viele Entscheidungen aus Europa aber betrachten das als vom 'Himmel gefallen'", sagt er. So könnte ein junger Mensch von heute auf morgen entscheiden, in Italien zu leben und zu arbeiten. "Einfach weil ihm das Klima gefällt", sagt Garippo. Das sei nicht immer so gewesen. Die "Väter der EU" hätten lange dafür gekämpft, ein Europa in Frieden und Freiheit aufzubauen. Deshalb habe jeder Europäer nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, zur Europawahl zu gehen, findet er.