Kinder lernen und arbeiten im Projektgarten in Hunden in Niedersachsen. © Windkanter e.V.

Bei jedem Wetter draußen: Unterricht im Projektgarten

Stand: 05.09.2024 16:15 Uhr

Die Grundschule Binnenmarsch im niedersächsischen Hunden setzt beim Sachunterricht konsequent auf einen sogenannten Projektgarten. Auf der Fläche lernen die Kinder besonders praxisnah, wie nachhaltiges Handeln funktionieren kann.

von Katrin Schwier und Sharon Welzel

An vielen Schulen gibt es Schulgärten. Meist beackern die Schülerinnen und Schüler im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft am Nachmittag die Beete. Den Initiatorinnen des Vereins Windkanter ist das zu wenig. Sie haben ein Konzept entwickelt, bei dem der Garten eine viel größere Rolle spielt: An der Grundschule Binnenmarsch in Hunden, südlich von Hamburg, wird er für das Fach Sachkunde genutzt - der Unterricht findet fast komplett im Projektgarten statt. Die Kinder lernen dort von der Vorschule bis zum Ende der Grundschulzeit.

Mit Federmappe und Gartenhandschuhen

Im Projektgarten in Hunden in Niedersachsen liegen die Schulsachen der Kinder auf Baumstämmen. © NDR / Katrin Schwier
Auch im Klassenzimmer im Freien hat alles seinen Platz.

Für die Kinder der zweiten Klasse ist das völlig normal: Die Lehrerin begrüßt sie nicht in ihrem Klassenraum. Stattdessen sitzen sie auf Baumstämmen, am Rande ihres Projektgartens. Dabei haben sie Schreibzeug, wie üblich, aber auch Gartenhandschuhe dabei. Denn im Sachkundeunterricht im Garten wird kräftig angepackt. Besonders stolz sind die Kinder auf einen großen Steinhaufen am Rand des Grundstücks. Den hätten sie im vergangenen Jahr mit aufgeschichtet, erklärt eine Schülerin: "In dem Steinhaufen können die Tiere leben, die wir hier auf dem Plakat sehen: der Mauerfuchs, Zauneidechsen, die Erdkröte. Das sind Steintiere, die sich im Winter da aufwärmen und Höhlen bauen können."

Kinder wirken selbst auf den Lehrplan ein

Die Projektleiterinnen Jutta Gößlinghoff, Susanne Jensen und Heike von Borstel im Projektgarten in Hunden in Niedersachsen. © NDR / Katrin Schwier
Jutta Gößlinghoff, Susanne Jensen und Heike von Borstel (v.l.) vom Verein Windkanter wollen auch ein Bewusstsein für die individuelle Verantwortung gegenüber dem Klimawandel schaffen.

Die Umweltpädagoginnen vom Verein Windkanter haben sich ganz dem Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung verschrieben. Jutta Gößlinghoff, Susanne Jensen und Heike von Borstel betreuen das Projekt. Sie wollen die Kinder durch ihre Arbeit dazu befähigen, Komplexität wahrzunehmen, um nachhaltige Entscheidungen treffen zu können. Das Projekt will direkt im Alltag der Kinder ansetzen und das geht auch einher mit den Inhalten der neuen Lehrpläne: Dort geht es immer weniger um die Vermittlung von Themen und immer mehr um die Entwicklung von Kompetenzen und das könne die Arbeit im Garten eben besonders gut, erklärt Heike von Borstel. Dort gehe es um eigenständiges und praktisches Arbeiten, bei dem die Kinder auch die Auswirkungen ihres Handelns begreifen. Für jeden Schulbesuch entwickelt das Team ein eigenes Konzept, das sich auch nach den Bedürfnissen der Kinder richtet. Der Steinhaufen zum Beispiel entstand, weil die Kinder zuvor so ein reges Interesse an Amphibien und Insekten gezeigt hatten.

Woher kommt eigentlich das Gemüse im Supermarkt?

Der Garten ist 400 Hektar groß. Die Siebenjährigen kennen sich hier gut aus. Einmal pro Woche kommen sie hierher, bei Wind und Wetter. Nur wenn es wirklich zu ungemütlich ist, können sie ins Klassenzimmer ausweichen. Gemeinsam mit den Umweltpädagoginnen des Vereins Windkanter besprechen die Kinder, was sie anpflanzen. Schnell haben sie gelernt, dass nicht alles, was es im Supermarkt gebe auch in ihrem Projektgarten gedeihe, sagt Susanne Jensen: "Das haben wir hier gemeinsam herausgearbeitet. Manches geht auf bestimmten Flächen - etwa Melonen im Gewächshaus. Gleichzeitig wissen die Kinder mittlerweile, dass Bananenstauden und Ananas hier nicht wachsen."

Ein Highlight: Suppe aus der eigenen Ernte kochen

Jutta Gößlinghoff vom Verein Windkanter steht mit einem Mädchen an einem Ofenkocher. © Windkanter e.V.
Durch den Ofenkocher ist die Arbeit im Garten auch in der kalten Jahreszeit spannend.

Gemeinsam mit den Kindern haben die Umweltpädagoginnen die Beete vorbereitet und gesät. Im Spätsommer, zur Erntezeit, ist es im Projektgarten für alle besonders schön. Das Beet mit den Kürbissen ist dann der Renner. Aber auch sonst schwärmen die Kinder begeistert aus, ziehen Karotten aus den Hochbeeten, zupfen Tomaten von den Stauden und sammeln Erdbeeren ein. Das dürfen sie auch am Ende der Stunde essen, natürlich selbst zubereitet, sagt die siebenjährige Rebecca: "Ich mag es total gerne zu schälen, zu ernten und zu schnippeln und ein schönes Buffet zu machen mit vielen Leckereien. Letztes Mal haben wir sogar eine Gemüsesuppe gemacht. Das war richtig lecker."

Themenvielfalt: Von Wetter über Klima zu Fotosynthese

Die bekannten Mäkeleien am Essen gibt es im Projektgarten nicht und nebenbei lernen die Kinder noch etwas über gesunde Ernährung. Auch schriftliche Tests gibt es im Projektgarten nicht. Noten vergeben die Lehrerinnen über die Mitarbeit. Auch sämtliche anderen Themen des Sachkundeunterrichts werden hier ganz praktisch vermittelt, sagt Umweltpädagogin Jutta Gößlinghoff: "Wir versuchen alle Themen aufzugreifen: Insekten, Spinnen, Wetter und Wasser. Was Bäume sind und was die Anfänge von Fotosynthese sind."

Grundstein für nachhaltiges Handeln

Die Klimaveränderung wird im Projektgarten genauso zum Thema wie Müll und wie man ihn vermeidet. Kern des Sachkunde-Unterrichts draußen ist zu vermitteln, was die Natur braucht und warum sie unbedingt geschützt werden muss. Und das gehe im Projektgarten viel besser als im Klassenzimmer, sagt Heike von Borstel. Sie macht beim Verein Windkanter ihren Bundesfreiwilligendienst: "Das hat nichts mit dem verkopften Lernen zu tun, das normalerweise in Schulen vermittelt wird, sondern das ist etwas, das mit allen Sinnen stattfindet, das hängen bleibt und es tief ins Innere der Kinder bringt."

Ein Garten, der für alle da ist

Für Heike von Borstel ist es eine Herzensangelegenheit: "Die Kinder sollen es nicht nur lernen, sondern das Gelernte nutzen, um unsere Welt in Zukunft ein bisschen besser zu machen. Wir müssen dringend etwas für unsere Umwelt tun. Und wenn wir nicht verstehen, wie sie funktioniert und wie wichtig und wertvoll sie ist, dann werden wir sie nicht retten", sagt sie. Die Umweltpädagoginnen hoffen, dass Ihr Konzept des Projektgartens bundesweit viele Nachahmer findet. Dazu schult das Team auch andere Lehrerinnen und Umweltpädagogen. Der Garten heißt ganz bewusst nicht Schulgarten sondern Projektgarten, weil er Eigentum der Gemeinde ist und außerdem für alle Altersstufen offen ist. Auch Projekte mit Kindergartenkindern werden dort umgesetzt und es gibt dort Angebote für Erwachsene. Und wer sich nicht trennen mag, der bleibt einfach: Sogar ehemalige Schülerinnen und Schüler der Klassen fünf und sechs treffen sich dort in einem Nachmittagsclub.

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