Artgerechte Tierhaltung - die Rechnung geht auf
In der Rubrik "NDR Info Perspektiven" kümmern wir uns aus Anlass der Messe EuroTier in Hannover um das Thema Tierschutz bei Schweinen, Rindern und Geflügel. Bilder von Massentierhaltung aus riesigen Ställen mit verletzten Schweinen, kranken Rindern und Hühnern schrecken regelmäßig die Öffentlichkeit auf. Viele Tiere werden auf engem Raum gehalten - artgerecht ist das ganz und gar nicht. Was kann und muss die Landwirtschaft leisten, um sich selbst, den Verbrauchern und vor allem den Tieren gerecht zu werden?
Die aktuelle Lage
Rund 27 Millionen Schweine werden in Deutschland gehalten. Von den etwa zwölf Millionen Mastschweinen stehen die meisten in geschlossenen Ställen, auf harten Beton-Spaltenböden. Pro Schwein sind nur 0,75 Quadratmeter vorgesehen. Kein Platz, keine Beschäftigung - das führt oftmals zu Verhaltensstörungen. Die Tiere beißen sich gegenseitig die Schwänze ab. Damit das nicht passiert, wird Ferkeln routinemäßig der Ringelschwanz abgeschnitten.
Fast 40 Millionen Hühner in Deutschland werden zur Eierproduktion gehalten - in riesigen Ställen in Gruppen von bis zu 6.000 Hühnern. Zum Teil kommen sie tagsüber in einen Auslauf. In den Ställen ist es eng, die Tiere haben Stress und picken sich gegenseitig blutig. Als Gegenmaßnahme wird den Tieren im Kükenalter ohne Betäubung der Schnabel gekürzt. Jedes Jahr werden millionenfach männliche Küken getötet, weil sie keine Eier legen und für die Fleischproduktion nicht geeignet sind.
Es gibt sie: Ansätze, die Tierhaltung artgerecht zu gestalten. An der Initiative Tierwohl zum Beispiel beteiligen sich die Fleischindustrie, große Einzelhändler und der Deutsche Bauernverband. Die Händler verpflichten sich, für jedes verkaufte Kilo Fleisch vier Cent in einen Topf einzuzahlen. Mit dem Geld werden Landwirte gefördert, die für mehr Tierwohl in ihren Ställen sorgen. Der Deutsche Tierschutzbund aber ist aus der Initiative ausgestiegen mit der Begründung, dass die Anforderungen an die Landwirte zu lasch seien.
Aber der Verbraucher kann im Supermarkt oftmals nicht erkennen, ob das Fleisch, das er kauft, aus artgerechter Tierhaltung stammt. Eine generelle Kennzeichnungspflicht gibt es derzeit nicht.
Die Perspektive
Wie kann es besser gehen, damit sich Tiere gut fühlen, Landwirte genügend Geld verdienen und Verbraucher die Herkunft des Schnitzels erkennen? NDR Info hat einen Schweinehalter im niedersächsischen Wendland besucht.
Martin Schulz verteilt Stroh im Schweinestall. Die Tiere umringen den Landwirt und stürzen sich auf die Halme. Wühlen, Knabbern, Grunzen. 800 bis 900 Mastschweine hält Schulz auf seinem Hof in Quickborn in der Nähe von Dannenberg. Im Stall sind sie in Gruppen aufgeteilt, jede Gruppe hat Auslauf nach draußen: "Die Enge ist nicht da, die Tiere können zwischen zwei Klimabereichen entscheiden. Sie können in den Stall gehen, der warm ist, in den Auslauf, der kühl ist."
Keine kupierten Ringelschwänze
Ein stressfreies Schweineleben. Jedes Tier hat knapp zwei Quadratmeter Platz - mehr als doppelt so viel wie die vorgeschriebenen 0,75 Quadratmeter. Stroh und Heu sorgen für Beschäftigung. Kein Grund also für die Tiere, sich gegenseitig die Schwänze abzubeißen. Ein Blick auf die Hinterteile zeigt: Die Ringelschwänze sind dran. "Wir haben von Anfang an gesagt, das Schwänze-Kupieren bei Schweinen ist verboten. Wir müssen die Haltungsbedingungen so anpassen, dass wir bei den Tieren keine Amputationen durchführen müssen", sagt der Landwirt, der Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft ist.
Artgerechte Haltung muss nicht bio sein
Schulz ist kein Bio-Bauer. Seine Schweine bekommen konventionell angebautes Futter: Getreide, außerdem Eiweißpflanzen - alles vom eigenen Acker oder aus der Region. Artgerechte Tierhaltung aber ist dem Landwirt ein wichtiges Anliegen. Schon vor Jahren hat er den Stall - der ursprünglich einmal ein Rinderstall war - entsprechend umgebaut. Durch die zunehmende gesellschaftliche Kritik an der Massentierhaltung fühlt sich Schulz bei seiner Arbeit bestätigt. Immer wieder fragen auch Kollegen bei ihm nach. "Die können von uns lernen, dass es Stallsysteme gibt, die arbeitswirtschaftlich zu handeln sind - auf Stroh. Aber man muss natürlich sagen, dass diese Ställe, auf Stroh, mit Auslauf, dass die schon mehr Arbeit verursachen pro Schwein", so der Niedersachse. Und zwar eine Arbeitsstunde, doppelt so viel wie bei einem konventionellen Betrieb. Das bedeutet Mehrkosten für den Landwirt.
Bessere Haltungsbedingungen gehen alle an
Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesagrarministeriums hat in einem Gutachten Änderungen in der Tierhaltung gefordert. Die Kosten für bessere Haltungsbedingungen für Schweine, Rinder und Geflügel gehen laut Gutachten in die Milliarden. Für Landwirt Schulz ist das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Politik sei gefordert, ebenso die Bauern: "Und man muss natürlich auch die Verbraucher finden, die sagen, uns ist das so viel wert, dass wir mehr dafür ausgeben."
Kunden honorieren das "Neuland"-Siegel
Für das Fleisch seiner Tiere bekommt Schulz 2,13 Euro pro Kilo als Festpreis über eine Vermarktungsgesellschaft. Zum Vergleich: Konventionelle Schweinebauern erhalten derzeit weniger, um die 1,50 Euro pro Kilo. Das Schweinefleisch vom Hof Schulz wird in Fleischereigeschäften in Berlin und in der Region Lüchow-Dannenberg verkauft. Die Kunden zahlen etwa 30 Prozent mehr Geld als für herkömmliches Fleisch im Supermarkt.
In Lüchow werden Hack, Schnitzel und Gulasch auch vom Hof Schulz unter dem Namen "Neuland" verkauft. Das Siegel steht für Fleisch aus artgerechter Tierhaltung. "Ich kann mir sicher sein, wie diese Tiere gehalten werden", sagt ein Kunde. "Es ist ja nicht unbedingt Biofleisch, aber es sind glückliche Tiere und die Fleischqualität ist wirklich sehr sehr gut." Und ein anderer ergänzt: "Wenn man diese Massentierhaltung sieht, dann vergeht einem der Appetit auf Fleisch."
Noch fehlt generelle Kennzeichnungspflicht
Noch aber liegt "Neuland"-Fleisch nicht im Supermarktregal. Überhaupt können Kunden oftmals nicht erkennen, ob das Fleisch, das sie kaufen, von glücklichen Tieren stammt. Neben dem Bioland-Siegel bietet beispielsweise der Deutsche Tierschutzbund ein entsprechendes Label an. Eine generelle Kennzeichnungspflicht aber gibt es nicht.
Derzeit arbeitet das Bundeslandwirtschaftsministerium an einem staatlichen Tierwohl-Label. Das ist für Landwirt Schulz aus Quickborn aber nur dann sinnvoll, wenn dahinter ein hoher Anspruch an Tierschutz steckt: "Wenn es ein Label ist, was einfach sagt, die Tiere dürfen weiter auf Spaltenboden gehalten werden, müssen nur zehn Prozent mehr Platz haben, müssen nur auf einem Strohhalm rumkauen dürfen, und das ist für uns Tierschutz, dann wird sich nicht viel verändern." Er selbst ist jedenfalls von seiner artgerechten Tierhaltung überzeugt. Und finanziell davon leben kann er auch.