5.859 Schulabbrecher in Niedersachsen: Was sind die Gründe?
Mehr Schulabbrecherinnen und -abbrecher in Niedersachsen: Im Vergleich zum Vorjahr haben 800 junge Menschen mehr die Schule ohne einen Abschluss verlassen. Die Gründe sind unterschiedlich.
Im Schuljahr 2022/2023 haben 5.859 junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine Steigerung. Damals gingen 5.086 ohne Abschluss ab. Allerdings konnte das Kultusministerium noch nicht mitteilen, wie viele 14- bis 16-Jährige in Niedersachsen in dem vergangenen Schuljahr am Unterricht teilnahmen. Ein Sprecher betonte aber: "Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Hauptschulabschluss zum Stichtag August 2023 etwas gestiegen ist, sich bei steigender Schüler*innenzahl aber auf einem weitgehend stabil-niedrigem Niveau bewegen."
Armut und Migrationsgeschichte erhöhen Risiko
Die Gründe für Abgänge ohne Schulabschluss sind vielfältig. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung sind Kinder, die in Armut groß geworden sind oder aus Familien mit Migrationsgeschichte stärker betroffen. Tatsächlich sagen Expertinnen und Experten aber auch, dass sich auch der Schulalltag darauf auswirkt, ob Jugendliche den Anschluss in der Schule verlieren.
Zu wenig Zeit für Schülerinnen und Schüler?
"Es braucht mehr Ruhe und Zeit im Bildungssystem", sagt Stefan Störmer Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW dem NDR Niedersachsen. "Lehrkräfte haben angesichts der hohen Belastung zu wenig Zeit für die Schülerinnen und Schüler", machte er deutlich. Außerdem gebe es wenig Raum für individualisierten Unterricht. Der sei aber dringend nötig, um die Schülerinnen und Schüler aufzufangen, die dem Bildungssystem sonst verloren gehen.
Landesschülerrat: "Wer nicht ins System passt, fällt durchs Raster"
Auch Louisa Basner vom Landesschülerrat schlägt in eine ähnliche Kerbe: Wer nicht ins System passe, der falle durch das Raster. "Viele Lehrkräfte haben wegen der hohen Arbeitsbelastung nicht mehr genügend Zeit, auf die einzelnen Schülerinnen und Schüler einzugehen." Außerdem bräuchte es mehr Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter, um die Jugendlichen aufzufangen. Aber auch da besteht Fachkräftemangel.
Zahl aus Sicht des Ministeriums zu hoch
Im niedersächsischen Kultusministerium sieht man ebenso den Bedarf. Ministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) sagte dem NDR: "Jeder Schulabbruch ist einer zu viel. Wer ohne Abschluss die Schule verlässt, hat eine ganz schlechte Startposition für das weitere Leben. Unser Anspruch ist, dass kein Kind verloren geht." Hamburg verwies darauf, dass das Land seit 2020 die Zahl der Schulsozialarbeiter erhöht.
Land will Sozialindex einführen
Außerdem setzt das Land auf das Programm "Startklar in die Zukunft". Bei dem steht vor allem die Förderung von emotionalen und sozialen Kompetenzen im Fokus. Im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen steht außerdem die Einführung eines Sozialindex - ähnlich wie es ihn bereits an Schulen in Hamburg oder Nordrhein-Westfalen gibt. Konkret wird dort nach einem Rechenmodell ermittelt, wie hoch die Belastung an den einzelnen Schulen ist. Je größer die Belastung, desto besser die personelle Ausstattung. So sollen soziale Ungerechtigkeiten aufgefangen werden. Wann der Sozialindex genau kommen soll, ist aber noch offen.
20 Prozent aller Menschen unter 35 ohne Ausbildung
Verlassen junge Menschen ohne Abschluss die Schulen, hat das häufig Konsequenzen für ihr weiteres Leben und ihre berufliche Laufbahn. Eine Sprecherin des Deutschen Gewerkschaftsbundes sagte dem NDR Niedersachsen: "Leider gilt: Je schlechter der Schulabschluss, umso schwieriger die Ausbildungsplatzsuche." 20 Prozent aller Menschen unter 35 Jahren bleiben in Niedersachsen dauerhaft ohne Ausbildung. Dies sei eine Verschwendung von Potenzialen. Und angesichts des Fachkräftemangels so nicht tragbar, machte die Sprecherin deutlich.
Europaweite Studie sorgte für Irritationen
Einer europaweiten Studie zufolge brechen in Deutschland mehr junge Menschen die Schule ab als im EU-Durchschnitt. Demnach lag die Abbrecherquote bei 12,2 Prozent. Doch wie das Kultusministerium auf NDR Anfrage mitteilte, lassen sich die Zahlen nicht miteinander vergleichen. In der europäischen Statistik werden nämlich Abgängerinnen und Abgänger ohne Abschluss des Sekundarbereichs II erfasst. Heißt: Menschen, die kein Abitur oder keine Ausbildung haben. Ein Hauptschulabschluss zählt demnach nicht als Abschluss. Deutschland und Niedersachsen blicken allerdings bewusst auf den Hauptschulabschluss.