Von Algorithmen gesteuert: Filterblasen in sozialen Netzwerken
Stand: 12.01.2017 18:13 Uhr
Meinungen auf Social Media oder in Messenger-Diensten bestätigen häufig das eigene Weltbild. Sogenannte Filterblasen bergen dabei die Gefahr, dass andere Ansichten ausgeblendet werden oder Fake News überwiegen.
von Nils Kinkel, NDR Info,
Bettina Less, NDR Info
Wie im realen Leben gibt es auch im Internet das psychologische Phänomen "Gleich und gleich gesellt sich gern". Das ist vor allem in sozialen Medien zu beobachten, in denen sich Freunde, Familien und Gleichgesinnte vernetzen und ihre Meinung austauschen, teilen und liken.
So funktionieren Filterblasen
Werden einem im Netz immer wieder die gleichen Themen oder Meinungen angezeigt, steigt die Gefahr, sich in Filterblasen zu verfangen.
Wenn also ein Nutzer der Meinung ist, mit der Corona-Impfung werde uns ein Chip implantiert, wird er Artikel darüber online suchen, lesen und dann Freundeskreis empfehlen. Je häufiger er das macht, desto mehr Artikel sieht er wiederum, in denen behauptet wird, mit der Corona-Impfung werde uns ein Chip implantiert. Verschwörungstheorien und denen, die sie verbreiten, werden so Tür und Tor geöffnet. So gerät man - ohne es selbst zu merken - immer tiefer in die Filterblase hinein.
Algorithmus steuert Sichtbarkeit von Inhalten
Soziale Netzwerke arbeiten mit Algorithmen, die den Nutzern Themen gefiltert anbieten.
Im personalisierten Internet sieht der Nutzer nur noch Artikel, die ihn interessieren. Mit diesem Geschäftsmodell verdienen Internet-Konzerne ihr Geld, weil sie mit diesem Werkzeug auch die Werbung auf das jeweilige Profil zuschneiden. Wer beispielsweise Urlaub in Schweden anklickt, bekommt über Google oder Facebook plötzlich nur noch Angebote von Blockhütten an einem schwedischen See angezeigt. Der Artikel über eine Motorradtour im Atlasgebirge erreicht den Nutzer nicht mehr, weil er sich schon in seiner "Skandinavien-Blase" befindet. Das Problem: Je mehr personalisiert wird, umso mehr wird vom Rest der Welt ausgeblendet. Im schlimmsten Fall bekommt der Nutzer also gar nichts anderes mehr mit.
Von der Filterblase in die Echokammer
Wissenschaftler befürchten, dass Leser nur noch die eigene Überzeugung wahrnehmen. In der Filterblase kann sich nämlich auch eine sogenannte Echokammer bilden. Wer beispielsweise einen Artikel von Impfgegnern kommentiert, bekommt automatisch auch viele andere Artikel angezeigt, die von Impfschäden handeln.
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Fake News und Intoleranz führen zur Spaltung der Gesellschaft
In einer freien Gesellschaft gibt es eigentlich immer einen Wettbewerb um die besten Ideen und einen Austausch von Argumenten. Wer sich aber nur noch seine Meinung bestätigen lässt, der wird zunehmend intolerant. Auch das unkritische und unreflektierte Verbreiten von Fake News trägt zu Intoleranz gegenüber anderen Meinungen bei. Das kann zu einer Spaltung der Gesellschaft führen. Wer sich also nicht für andere Meinungen interessiert, der wird dann beispielsweise auch überrascht vom Brexit oder dem Ausgang der Wahlen in den USA, weil diese Themen in der eigenen Timeline nicht präsent waren. Andererseits gibt es Filterblasen auch ohne Internet. Beispielsweise können ein Parteistammtisch oder eine Demonstration in der realen Welt ähnlich funktionieren wie eine Echokammer im Internet.
Wege aus der Filterblase
Filterblasen oder Echokammern in den sozialen Netzwerken können die eigene Sicht auf die Welt einschränken. Damit das nicht passiert, hat NDR Info fünf Tipps zusammengestellt:
Wegzuhören ist bei Facebook einfacher als im richtigen Leben. Der entfernte Bekannte setzt ein "Gefällt mir" bei einer unsympathischen Seite? Er kommentiert einen Zeitungsartikel mit hanebüchenen Argumenten? Weg damit, empfiehlt Facebook in einer aktuellen Werbekampagne. Um den Algorithmus auszutricksen, ist es besser, den Bekannten nicht auszublenden, zu ignorieren oder zu entfreunden, sondern ihn auszuhalten, um so vielleicht mehr über seine Meinungen oder Sorgen zu erfahren.
Um den Horizont zu erweitern und den Algorithmus zu verwirren, kann es sinnvoll sein, gezielt Seiten zu "liken", die man eigentlich nicht mag. Beispielsweise Organisationen oder Vereine, oder Politiker, deren Parteien einem nicht liegen. Die soziale Ächtung durch andere, gleichgesinnte Facebook-Freunde muss man dabei übrigens nicht riskieren, sagt Christian Stöcker, Leiter des Masterstudiengangs Digitale Kommunikation an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg.
Wer sich aufraffen kann, in eine Diskussion einzusteigen, kann im Idealfall nicht nur die eigene, sondern sogar fremde Filterblasen zum Platzen bringen. Nämlich dann, wenn er mit seiner Gegenmeinung auftaucht in einer Gemeinschaft, die sich bislang in einem abgeschotteten Raum gegenseitig bestätigt hat. Der Wissenschaftler Stöcker rät, sich als Nutzer ruhig auch mal in Diskussionen einzumischen, die einem missfallen. So könne man in die Filterblasen zumindest ein kleines Loch pieksen.
Wer seine Filterblase wirklich zum Platzen bringen will, muss es sich ungemütlicher machen, andere Meinungen aushalten, und auch mal diskutieren. Nicht für jeden sei das was, sagt Stöcker. Aber es sei wichtig, sich zumindest klarzumachen, wie die Blase funktioniert. Der erste Schritt müsse sein zu begreifen, dass ein Algorithmus darüber entscheidet, was als nächstes in der Timeline serviert wird.
Die Filterblase gibt es auch im echten Leben. Die meisten Freunde und Bekannten haben einen ähnlichen Ausbildungsgrad, Einstellungen und ein ähnliches Umfeld, sie konsumieren auch dieselben Medien. Wer allerdings diese Perspektive wechseln will, hat es heute - auch außerhalb von Facebook & Co. - einfach. Als "taz"-Leser zum Beispiel einmal für zwei Wochen in die "Welt" reingucken, einen Blick in den britischen "Guardian" oder die "Neue Zürcher Zeitung" werfen - geht alles online. Das kann die eigene Perspektive nachhaltig ändern.
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