Nachbarn rücken dank Online-Netzwerk zusammen
Soziale Medien haben bei vielen Menschen immer noch einen schlechten Ruf. Datenkraken seien die Unternehmen, Nutzer mit falschen Identitäten seien dort unterwegs, und die Wahrheit sage dort sowieso niemand - heißt es. Dabei können soziale Medien gerade im Kleinen die Welt verbessern - zum Beispiel in der unmittelbaren Nachbarschaft. Dort sind das soziale Netzwerk nebenan.de und andere angesiedelt.
Eine Gruppe von Hobbygärtnern, eine Grünanlage im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel. Christine Stecker und Christiane Scheinhardt beugen sich gemeinsam über ein Beet und räumen ein bisschen Laub beiseite. Die Lichtverhältnisse, so meinen beide übereinstimmend, seien im Sommer, wenn die umstehenden Bäume wieder Blätter tragen, sicher nicht optimal für das Wachstum der Pflanzen.
Zwei Meter vom Beet entfernt fahren Autos über das nasse Kopfsteinpflaster. Es nieselt, aber die Stimmung ist prächtig. Christine Stecker erzählt, dass sie gerade wieder einen riesigen Hundehaufen entfernt hat: "Das muss so ein riesiges Kaliber gewesen sein!" Die anderen Gärtner grinsen. Ihr Tipp: Besser Handschuhe anziehen beim Gärtnern im Beet an am Straßenrand.
Ohne das Internet hätten die Nachbarn sich nie gefunden
Die sechs Hobbygärtner, die da in einer Grünanlage harken und aufräumen, kennen sich über das Internet, über das lokale Netzwerk nebenan.de. Christine Stecker, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg, hat vor fünf Jahren zum ersten Mal ein Beet vor ihrer Haustür bepflanzt, und damals noch alleine die Patenschaft von der Stadt übernommen - heute hat sie zwanzig Mitstreiter.
Alle sind sich einig, dass sie ohne die Internet-Plattform niemals zueinander gefunden hätten. "Das war so eine Initialzündung auf nebenan.de", sagt Werner Schöffel, ein freischaffender Künstler aus dem Viertel. Das Schöne sei, und dazu nicken alle in der Runde, dass jeder so viel mache, wie er möchte. "Die einen wollen nur buddeln, die anderen strategisch vorgehen", ergänzt Ralf Schadwinkel. In jedem Fall sei aber jedes neue Mitglied ein Gewinn - worauf es wieder ein kollektives Nicken in der Runde gibt.
Der erste Kontakt ist digital, der zweite offline
Auf der Internetseite nebenan.de suchen und finden sich Nachbarn mit ähnlichen Interessen. Einige brauchen einen Babysitter, andere treffen sich zum monatlichen Stammtisch, organisieren einen Lauf-Treff oder benötigen eine Stichsäge. Ina Brunk ist eine der Gründerinnen von nebenan.de. Sie sagt, die Plattform gebe erst mal nur einen Impuls: "Ich frage natürlich digital nach der Bohrmaschine, und erreiche schnell mehr Menschen. Aber letzten Endes muss ich mir das Werkzeug natürlich abholen und auch bei den Nachbarn klingeln." Auch wenn der erste Kontakt also digital sei: Das Ziel sei meistens ein Offline-Kontakt.
Das Internet als soziale Technologie?
Nebenan.de und auch andere lokale Plattformen wie nachbarschaft.net oder wirnachbarn.com könnten dabei helfen, einem Trend zur Vereinzelung entgegenzuwirken. So leben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mittlerweile mehr als 40 Prozent aller Deutschen alleine. Viele ziehen berufsbedingt häufiger im Leben um und wissen gar nicht, mit wem sie Tür an Tür leben. "Lange hat man befürchtet, dass das Internet die Menschen isolieren würde, dass jeder nur noch ganz alleine für sich vor dem Rechner hockt und im Cyberspace abtaucht", sagt der Soziologe Jan-Hinrik Schmidt, der am Hans-Bredow-Institut zu sozialen Medien forscht. Tatsächlich biete das Internet aber auch Chancen: "Nebenan.de und auch viele andere Plattformen zeigen, dass das Internet eine riesige soziale Technologie ist, eine Verbindungstechnologie, die Menschen zusammenbringt."
Nebenan.de hält sich an Datenschutzvorgaben
Allerdings funktioniert hyperlokales Netzwerken im Internet nur, wenn die Nachbarn wirklich Nachbarn sind. Daher muss jeder nachweisen, dass er auch tatsächlich unter der angegebenen Adresse wohnt - indem er beispielsweise den Brief vom Stromversorger abfotografiert. Nach der Verifizierung wird das Foto wieder gelöscht, und die anderen wenigen gespeicherten Daten sind nach Angaben von nebenan.de verschlüsselt, Postings für Google nicht auffindbar. Kommunikationsforscher Schmidt lobt das: "Das ist ein großer Unterschied zu den großen globalen Playern wie Facebook oder WhatsApp, dass nebenan.de als deutsches Unternehmen auch deutschem Datenschutzecht unterliegt." Und das sei im internationalen Vergleich nun einmal sehr streng.
Langfristig ist lokale Werbung geplant
Seit dem Start vor etwas mehr als einem Jahr ist nebenan.de enorm gewachsen. Bundesweit gibt es etwa 2.300 Nachbarschaften, allein in Norddeutschland sind es 450. Darin aktiv sind jeweils bis zu mehrere Hundert Nachbarn. Hamburg und Hannover führen die Liste an, aber auch Nachbarn in Rostock, Kiel oder Braunschweig sind sehr aktiv.
Momentan reicht das Geld der Investoren noch, aber dann muss sich die Plattform selbst tragen - also eigenes Geld verdienen. Laut Ina Brunk ist das Ziel nicht der maximale Profit. Die Einnahmen sollen zum Konzept passen. Irgendwann sollen lokale Geschäfte werben können, aber das werde dann genau gekennzeichnet, verspricht sie.
Wie ein Dorf in der Großstadt
Hobbygärtnerin Christine Stecker hofft, dass auch ihre Gruppe weiter wächst. Sie empfindet ihren Stadtteil nach zwölf Jahren im Viertel jetzt noch mehr als früher wie ein Zuhause, digital und offline. "Mein Leben im Viertel läuft jetzt anders ab. Es ist ein bisschen wie auf dem Dorf - in der Großstadt." Christine Stecker meint das durchaus positiv: "Im Sommer treffe ich bestimmt zehn, zwölf Gesichter, die ich kenne. Und aus diesen neuen Kontakten sind auch Freundschaften entstanden."