Welt-Rheuma-Tag: Zu wenig Rheumatologen in MV
Kerstin Rosenstädt aus Cölpin bei Neubrandenburg ist eine von rund 1,8 Millionen Menschen bundesweit, die an Rheuma erkrankt sind. Schnelle medizinische Hilfe ist oftmals nicht möglich - denn es fehlt an Rheumatologen. Heute ist Welt-Rheuma-Tag.
Kerstin Rosenstädt kann wieder lächeln. Es gehe ihr wieder sehr gut, sagt sie. "Der Anfang war sehr schwer und steinig. Man muss diese Krankheit erst mal akzeptieren und herausfinden, was der Körper mit einem macht", erzählt sie. Vier Jahre ist es her, da hat sie einen "großen Schub". Häufige Schulter- und Gelenkbeschwerden sind dem vorausgegangen, sie dachte, sie habe zu viel im Garten oder Haus gemacht. Immer wieder bekommt sie Physiotherapie - ohne Erfolg.
Kerstin Rosenstädt, die als Pflegedienstleitung in Burg Stargard immer "Vollgas" gibt, um anderen zu helfen, kann im Winter 2020/2021 plötzlich nichts mehr. "Man gibt 150 Prozent, wie das ja so auf Arbeit ist. Und nächsten Tag sitzt man da und weiß nicht, wie es weitergeht. Man kann nichts machen, man kann nicht laufen, man kann nichts anfassen, weil jede Berührung wehtut. Das war schon der große Hammer." Mit 46 Jahren fällt Kerstin Rosenstädt in ein tiefes Loch.
Betroffen sind auch Kinder und Jugendliche
1,8 Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen von rheumatischen Erkrankungen, sagt die Rheumatologin und leitende Oberärztin am Bonhoeffer-Klinikum Neubrandenburg, Dr. Michaela Berndt. Dazu zählen entzündliche Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen, aber auch Organe wie Lunge, Niere und Gehirn können betroffen sein. Rheuma ist keine Erkrankung älterer Menschen, auch Kinder und Jugendliche leiden darunter. Infektionen können die Autoimmunkrankheit verursachen. Ein bekannter Risikofaktor ist das Rauchen.
Nur drei rheumatische Kliniken in MV
Kerstin Rosenstädt aus Cölpin bei Neubrandenburg hat Glück im Unglück. Sie erhält schnell die Diagnose: Polyarthritis mit Psoriasis-Arthritis, Gelenkentzündung mit Schuppenflechte. Und sie bekommt zügig einen Termin in der Rheumatologie des Bonhoeffer-Klinikums Neubrandenburg. Keine Selbstverständlichkeit bedauert Oberärztin Michaela Berndt. Denn in Mecklenburg-Vorpommern gibt es nur noch drei Rheumatologische Kliniken, neben Neubrandenburg eine weitere in Rostock und eine in Greifswald.
Anderthalb Jahre Wartezeit auf Termin beim Rheumatologen
In Neubrandenburg könnten längst nicht alle Patientinnen und Patienten behandelt werden, die Bedarf haben. Auf Termine warten Betroffene hier etwa fünf Monate. Beim ambulanten Rheumatologen würden Patienten sogar bis zu anderthalb Jahre auf einen Termin warten, sagt Michaela Berndt. "Das geht gar nicht." Dabei werde empfohlen, dass sich Betroffene mit der Diagnose nach sechs Wochen beim Rheumatologen vorstellen, maximal nach drei Monaten. Denn bei rheumatischen Erkrankungen müsse unter Umständen schnell gehandelt werden, weil sonst Gelenke aber auch Organe Schaden nehmen, erklärt die Expertin.
Neue Therapien verbessern Leben der Patienten
Im vierten Jahr der Erkrankung und nach sieben verschiedenen Medikamenten hat Kerstin Rosenstädt nun eines gefunden, das ihr sehr gut hilft. Ihre Fingergelenke, ihre Fußgelenke - alles kann sie wieder schmerzfrei bewegen. "Und ich hoffe, dass ich dieses Medikament auch weiterhin nehmen kann und dass es so gut wirkt wie jetzt." Kerstin Rosenstädt bekommt ein innovatives Medikament, ein sogenanntes Biologikum. Solche Medikamente werden biotechnologisch hergestellt. Sie blockieren gezielt spezielle Entzündungsbotenstoffe oder hemmen bestimmte, an der Entzündung beteiligte Rezeptoren oder Zellen des Immunsystems. Oberärztin Berndt spricht von einem Paradigmenwechsel. "Durch diese Revolution in der Therapie hat sich das Leben der Patienten deutlich verbessert." Manche Patienten, die zu ihr in die Sprechstunde kommen, glaubten, ihr Rheuma sei weg.
In Deutschland fehlen 900 Rheumatologen
Und doch: Zufrieden ist Spezialistin Dr. Michaela Berndt nicht. Sie fordert, dass deutlich mehr Rheumatologen ausgebildet werden. Dafür seien mehr Lehrstühle an den Universitäten notwendig. Aktuell seien es maximal zehn an 38 Universitäten. "Wenn ich selbst an meine Rheumatologie-Ausbildung denke an der Universität, es gab keinen Rheumatologen, der es gemacht hat. Das hat der Nierenarzt mitgemacht." Laut Statistik gibt es aktuell 1.200 Rheumatologen in Deutschland. 30 Prozent davon sind älter als 60 Jahre, so Berndt. Gebraucht würden aber 2.100 Fachärztinnen und -ärzte.
Selbsthilfegruppe holt sie aus tiefem Loch
Kerstin Rosenstädt bindet die Schnürsenkel ihrer Sportschuhe. Anderthalb Stunden Qigong stehen auf dem Plan. Mehrmals wöchentlich macht sie Sport – am liebsten in Gemeinschaft, zum Beispiel bei der Rheuma-Liga in Neubrandenburg. "Ich kann meinen inneren Schweinehund leider nicht überwinden, zu Hause Sport zu machen", gibt sie zu. Überhaupt: Die Selbsthilfegruppe und die hier gepflegte Gemeinschaft habe sie aus dem tiefen Loch rausgeholt, in dem sie mal war. "Hier wird gelacht und hier wird erzählt und hier wird auch nicht über diese Krankheit gesprochen, sondern über alltägliche Dinge." Sie habe hier sehr viel Lebenserfahrung gewonnen. Die 50-Jährige ist Frührentnerin, kann in dem stressigen Job als Kranken- und Altenpflegerin nicht mehr arbeiten. Mit Herz und Seele sei sie dabei gewesen, sagt sie. Nun will sie nach vorn schauen, hat gelernt, ihre Krankheit zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen.