Fremde nebenan: Woher kommt die Angst vor Geflüchteten?
Die Angst vor dem Fremden - in Mecklenburg-Vorpommern hat sie sich dieser Tage immer wieder offen gezeigt. Professor Borwin Bandelow, Psychiater und Neurologe vom Universitätsklinikum Göttingen, erklärt, wie es zu der Angst vor Geflüchteten kommt.
Auf Demonstrationen und in Diskussionsrunden in Grevesmühlen, Upahl, Loitz und Teterow, die teils bundesweit für Aufsehen gesorgt haben, ist deutlich geworden: Einige Menschen in Mecklenburg-Vorpommern haben Angst vor Flüchtlingen, allgemein vor dem Fremden. Professor Borwin Bandelow ist Psychiater und Neurologe am Universitätsklinikum Göttingen, Angst ist sein Spezialgebiet.
Bandelow: Angst ist nicht gleich Angst
"Wir haben in unserem Kopf zwei Angstsysteme", erklärt Professor Bandelow bei NDR MV Live. Eines davon sei sehr einfach strukturiert. Es reagiere beispielsweise auf Spinnen oder Feuer. Die körperlichen Ausdrucksformen dieses Angstsystems kennt jeder: Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Schwindel, Luftnot, aber auch psychische Symptome - so Bandelow - wie Unruhe und Nervosität. Dieses evolutionär gesehen alte Angstsystem sei nicht nur hinderlich, sondern auch heute noch nützlich. "Wenn wir an der roten Ampel anhalten, arbeitet die Angst im Hintergrund unbemerkt für uns. Wir denken gar nicht darüber nach - aber die Angst verhindert, dass wir nicht einfach bei Rot losfahren."
Fremdenfeindlichkeit - unser genetisches Erbe
Das einfache Angstsystem stamme aus einer Zeit, als die Menschen noch in Stämmen lebten. "Da war es wichtig, wenn man in so einem Stamm von 25 bis 30 Personen gelebt hat, sich nicht aus diesem Stamm zu entfernen." Andernfalls wäre man Opfer von anderen Stämmen oder von wilden Tieren geworden, so Bandelow. "Das heißt, es war überlebenswichtig, dass man sich für seinen Stamm eingesetzt hat. Das man für den Stamm gekämpft hat gegen die anderen, aber auch innerhalb des Stammes alle Leute unterstützt hat." Diese Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit) habe sich in der Entwicklung des Menschen als Vorteil erwiesen und sich darum in der Evolution durchgesetzt.
Mischung von Vernunft und Gefühlen
Unser genetisches Erbe ist Bandelow zufolge der Grund dafür, "dass Menschen, die fremdartig aussehen, das Gefühl auslösen können, gefährlich zu sein." Das sei unabhängig davon, ob Informationen darüber vorliegen, dass jemand tatsächlich gefährlich ist oder nicht. Diese Theorie könne auch erklären, dass Ukrainer, die für uns weniger fremdartig aussehen, weniger Angst auslösen als Menschen aus Afrika oder arabischen Ländern.
Das zweite Angstsystem, das Professor Bandelow beschreibt, ist Teil des intelligenten Vernunftsystems. Im Gegensatz zur einfachen Angst könne hier auch das Für und Wider abgewägt werden. Deswegen könne man zu dem Ergebnis kommen, dass es gute Gründe für Zuwanderung gibt. Allerdings könnte auch das intelligente Angstsystem zu einer generalisierten Angst vor Flüchtlingen führen - beispielsweise durch Nachrichten von einzelnen kriminellen Geflüchteten.
Ausweg aus der Angstspirale
"Man hat die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die mit Geflüchteten oder allgemein mit Ausländern Kontakt haben oder häufiger mal im Ausland waren, mehr Verständnis für Menschen anderer Nationen haben." Dann nämlich, so Professor Bandelow, könne sich die teils natürliche Angst reduzieren. Jedoch dürfe man die Menschen nicht mit ihren Ängsten allein lassen. Bis bestehende Ängste abgebaut werden, könne es lange dauern. Aus seiner Erfahrung heraus weiß Professor Borwin Bandelow, beim Abbauen von Ängsten hilft vor allem eines: behutsame Konfrontation, der direkte Kontakt zu Geflüchteten.