So arbeiten die Alarmrotten der Luftwaffe
Meist steigen sie derzeit wegen russischer Aufklärer über der Ostsee auf, Auslöser kann aber auch schon mal ein verirrter Heliumballon eines Kinderfestes sein: Die Alarmrotten der Luftwaffe sind rund um die Uhr einsatzbereit.
Alarm! Auf diesen Moment haben die Piloten gewartet. Die ganze Zeit haben sie auf Abruf in ihren Fliegeranzügen im Bereitschaftsraum auf dem Gelände des Luftwaffenstandorts Rostock-Laage gesessen. Sofort schießt das Adrenalin hoch. Sie nehmen sich ihre Fliegertaschen, greifen ihre Helme und laufen zu ihren Eurofighter-Jets. Die werden zeitgleich von den Technikern startklar gemacht. Auch die Waffen werden scharf geschaltet. Kurz darauf heben die Maschinen donnernd ab - innerhalb von 15 Minuten nach Alarmierung. "Die Piloten wissen erstmal nicht genau: 'Ist es eine Übung oder ist das jetzt ein scharfer Einsatz?'", erklärt Oberstleutnant Stefan Arne Bremkens bei NDR MV Live.
"Wir schauen nach, was dort los ist"
Bremkens ist Dezernatsleiter im Nationalen Lage- und Führungszentrum Sicherheit im Luftraum in Uedem am Niederrhein. Was Bremkens hier schildert, ist der typische Ablauf eines Starts einer sogenannten Alarmrotte der Luftwaffe. Sie besteht aus zwei Eurofighter-Jets und den Besatzungen, sie sind rund um die Uhr einsatzbereit. Derzeit ist eine Rotte in Rostock-Laage stationiert und eine weitere in Neuburg an der Donau. Ihr Auftrag: Überwachung des Luftraums über Deutschland. "Wir haben Informationen zu allen Flugbewegungen und überwachen das", sagt Bremkens. In Friedenszeiten ist zunächst die Deutsche Flugsicherung für die Überwachung des Luftraumes zuständig. "Wenn die irgendwelche Probleme haben, weil sich ein Luftfahrzeug nicht meldet oder vom Kurs abweicht, dann kommen wir ins Spiel und starten im Zweifelsfall die Alarmrotte und schauen nach, was dort los ist."
Über der Ostsee Einsätze wegen russischer Aufklärer
Nachschauen, was da los ist, bedeutet konkret, dass die Maschinen zum Einsatzgebiet fliegen und Kontakt mit dem Piloten des betreffenden Flugzeugs aufnehmen. Im Fall der Alarmrotte in Rostock-Laage sind dies meist russische Maschinen - häufig Aufklärer -, die über der Ostsee fliegen. Erst vor gut einer Woche waren zwei Eurofighter von Laage aus aufgestiegen, um einen solchen russischen Aufklärer des Typs Iljuschin 20 "Coot-A" zu identifizieren und zu begleiten. Bremkens betont, dass sich die russischen Flugzeuge bisher ausschließlich im internationalen Luftraum bewegen. "Dort darf erst mal prinzipiell jeder fliegen. Die verletzen keine NATO-Luftraumgrenzen."
"Man sieht sich an und wackelt kurz mit den Flügeln"
Doch die russischen Maschinen fliegen in der Regel mit ausgeschaltetem Transponder - eine Art Funkgerät in den Flugzeugen, das normalerweise allen anderen Luftverkehrsteilnehmern mitteilt, in welcher Höhe das Flugzeug fliegt und mit welcher Geschwindigkeit. "Und weil die russischen Flugzeuge ohne einen solchen Transponder fliegen oder den ausgeschaltet haben, fliegen wir dorthin, um der zivilen Luftfahrt zu zeigen: Hier sind gerade Luftfahrzeuge im Raum, die ein Hindernis darstellen können", so Bremkens. So werde sichergestellt, dass diese von zivilen Flugzeugen bemerkt werden.
Denn die Eurofighter haben ihre Transponder eingeschaltet und senden ihr Signal. Die eigentliche Kontaktaufnahme vollzieht sich ähnlich, wie man es aus einschlägigen Filmen kennt. "Wir nehmen Sichtkontakt mit den russischen Piloten auf, sehen uns an, man wackelt kurz mit den Flügeln", sagt Bremkens. Dann fliege man noch eine Weile nebeneinander her. "Das Ganze wirkt relativ unspektakulär und läuft nach professionellen und ruhigen Maßstäben ab. Da kommt es also nicht zu irgendwelchen Konflikten oder irgendwelchen Problemen in der Kommunikation."
Kinderluftballon bei G7-Gipel zu langsam für Eurofighter
Laut Bremkens wird das Lagezentrum Sicherheit im Luftraum in Uedem pro Jahr etwa 200-Mal von der Deutschen Flugsicherung über Vorfälle im Luftraum informiert. Doch in den meisten Fällen müssen keine Alarmrotten-Jets zur Klärung aufsteigen, dies geschieht laut Bremkens nur zehn bis 15-Mal pro Jahr. Zuweilen gibt es auch recht skurrile Auslöser für Einsätze. Bremkens erinnert sich an einen besonderen Fall eines Amtshilfeersuchens mit der Polizei. Bei einem G7-Gipfel war tatsächlich ein mit Helium gefüllter Kinderluftballon in Form einer silbernen Neun in eine Flugverbotszone geschwebt. "Der war zu langsam für unsere Eurofighter. Deswegen haben die das mit einem Polizeihubschrauber abgefangen."
Zusätzliche Einsätze über dem Baltikum
Gegenwärtig kommen noch weitere Einsätze hinzu, weil die Luftwaffe mit fünf Eurofightern an einer Mission zur Unterstützung der Absicherung des baltischen Luftraums beteiligt ist. "Die fliegen in der Regel zweimal am Tag und in der Woche ungefähr einmal als Reaktion auf die russischen Flugzeuge über der Ostsee", so Bremkens. Er könne verstehen, dass aufgrund der aktuellen Lage in der Bevölkerung Befürchtungen wegen solcher Einsätze geweckt werden. Dennoch müsse man sich keine Sorgen machen, meint er. "Das ist erstmal ein ganz normaler Vorgang."
"Wir sind hier, wir sind einsatzfähig, wir sind präsent"
Dass sich seit dem russischen Überfall auf die Ukraine die Zahl solcher Einsätze erhöht hat, kann Bremkens nicht feststellen. Was zugenommen habe, seien Einsätze und Übungen mit den Partnern in Polen und im Baltikum. "Denn wir wollen auch zeigen: Wir sind bereit für den Fall, dass die Lage eskaliert. Wir wollen die Russen davon abhalten, die Lage weiter zu eskalieren, indem wir sagen: Wir sind hier, wir sind einsatzfähig, wir sind präsent und zeigen damit eben auch, dass wir als NATO hier eine rote Linie ziehen und sagen: Wir möchten nicht, dass dieser Konflikt in irgendeiner Form weiter eskaliert."