Neue Energien und eine Gartenstadt für die Halbinsel Wustrow
Der Entwurf für ein neues Raumentwicklungsprogramm der Region Rostock bringt ein Windenergie-Vorranggebiet zwischen Ostsee und Salzhaff ins Spiel. Planungen, die den jahrelangen Streit um die Zukunft der Halbinsel Wustrow in eine neue Richtung lenken könnten.
Eine unverbaute Steilküste, die sanft gewundene Bucht zum Haff, windflüchtige Pappeln und vom Sturm der Jahrzehnte verwitterte Wehrmachtsruinen - viel mehr ist am Ende der Reriker Dünenstraße von der Halbinsel Wustrow nicht zu sehen. Hinter dem Drahtzaun liegt eine der wohl geschichtsträchtigsten Landschaften Deutschlands.
Seit dem Verkauf durch die Treuhand ist sie in Privatbesitz und seit einem Vierteljahrhundert versucht der Eigentümer, Immobilieninvestor Anno August Jagdfeld, das Eiland in seinem Sinne touristisch zu entwickeln. Aber die Mehrheit der Stadtvertretung konnte sich nie für das geplante Luxusresort erwärmen. Und so bleibt der Zutritt zur 1.000 Hektar großen Halbinsel, abgesehen von geführten Sightseeing-Touren, streng verboten. Gitter und Wachdienst halten Neugierige zuverlässig fern, die Regionalplaner des Landkreises Rostock hingegen nicht.
Dreimal höher als der Kirchturm
Die haben nun einen Teil der umstrittenen Halbinsel in ein Windenergie-Vorranggebiet verwandelt. Nachzulesen im Entwurf des neuen Raumentwicklungsprogramms der Region Rostock, der am 22. Januar veröffentlicht wurde. Nüchtern und auf der Grundlage einer sogenannten "Weißflächenkartierung" stellt der Bericht fest: "Die ehemaligen Militärliegenschaften auf der Halbinsel Wustrow am westlichen Rand der Region waren vor 20 Jahren für die Entwicklung eines touristischen Großprojektes vorgesehen. Die Entwicklung ruht jedoch bis heute. Nach den aktuellen Kriterien wäre die Festlegung eines Windenergie-Vorranggebietes auf der Halbinsel möglich, soweit diese außerhalb des Vogelschutzgebietes Wismarbucht und Salzhaff liegt."
Die Planer bescheinigen Wustrow hervorragende Windverhältnisse. Weiter wird festgestellt, dass es voraussichtlich auch keine Höhenbeschränkung für Windenergieanlagen gibt. Ob das tatsächlich so ist, wird sich im Rahmen des Beteiligungsverfahren noch herausstellen müssen. Noch dominiert der Kirchturm der St.-Johannes-Kirche, die sogenannte Bischofsmütze, den Himmel über Rerik. Früher diente der quadratische Turm Schiffern und Fischern als Orientierungspunkt. Moderne Windräder sind allerdings mindestens dreimal so hoch und wären in Sichtweite, nur wenige Kilometer entfernt.
Das Amt hat keine Meinung, nur Fakten
Michael Fengler, der Amtsleiter im Amt für Raumordnung und Landesplanung, sieht die Sache nüchtern: Er hat seine Vorgaben. Bis zum Jahre 2032 muss die Region Rostock 2,1 Prozent der Gesamtfläche für die Windenergienutzung ausweisen. Das ist in einem eher dichtbesiedelten Gebiet mit vielen Schutzgebieten und einem sensiblen Küstenstreifen eine fast unmögliche Aufgabe. Gerade deshalb müssten alle irgendwie in Frage kommenden Gebiete auf Eignung geprüft werden. Es sei ein offenes Verfahren, so Fengler. Oder anders formuliert: Die aktuelle Vorplanung ist das Ergebnis eines Ausschlussverfahrens, welches mit Hilfe von Geoinformatikprogrammen vorgenommen wurde.
Dort, wo unter anderem ausreichend Abstand zur Wohnbebauung und Schutzgebieten beziehungsweise Schutzgütern gegeben ist, wird quasi "automatisch" ein Windenergie-Vorranggebiet ausgewiesen. Wie die jeweilige Interessenlage der Menschen vor Ort aussieht, dass ist der Datenverarbeitung zunächst egal. Deren Meinung ist nun im Beteiligungsverfahren gefragt.
Gemeindevertreter wollen Naturpark
Geht es nach den Einheimischen, die sich in der Bürgerinitiative "Wir für Rerik" organisiert haben und die seit langem gegen die Jagdfeld-Pläne Sturm laufen, dann sollte die Halbinsel vom Land Mecklenburg-Vorpommern zurückgekauft werden und ein Naturpark entstehen. Frei begehbar mit Wanderwegen, vielleicht einem Heimatmuseum, dass die wechselhafte Geschichte Wustrows erzählt. So steht es auf der Internetseite. Eine Bebauung, die über die jetzige hinaus geht, mögen sie nicht und sind in der Stadtvertretung mit dieser Meinung in der Mehrheit.
Bürgermeisterin Antje Wegner-Repke jedenfalls hat die Stadtvertreter auf der letzten Sitzung über die Windenergiepläne der Raumplaner und die möglichen Konsequenzen für die Stadt und die Halbinsel informiert. Ein offizielles Statement war von der Gemeinde allerdings nicht zu bekommen.
Offen für Windräder
Ganz anders die Reaktion des Halbinsel-Besitzers. Im Statement der Jagdfeld-Gruppe heißt es: "Die Ziele des Planungsverbandes für mehr Erneuerbare Energien und besseren Klimaschutz sind vernünftig. Daraus können sich viele Vorteile für Rerik entwickeln. Auch die Ziele, für Wohnungsbau vor allem schon bebaute Flächen zu nutzen, sind vorausschauend. Ein touristisches Großprojekt wollen wir auf Wustrow ohnehin schon lange nicht mehr, sondern behutsamen Wohnungsbau in der "Alten Gartenstadt".
Und nicht zuletzt verantwortungsvoll ist das Ziel des Planungsverbandes, den Umwelt- und Naturschutz nachhaltig zu verbessern - auf Wustrow etwa durch die Schaffung eines klimaresilienten Mischwaldes auf den heutigen Konversionsflächen. Nach über 20 Jahren des Stillstands und der Ideenlosigkeit passen die Vorschläge des Planungsverbandes in die heutige Zeit, stiften Gemeinnutzen und werden der Halbinsel gerecht." Und: Man sei bereit, mit allen Beteiligten ins Gespräch zu kommen.
Alles von vorn
Bis zum 1. März läuft die öffentliche Beteiligung. Danach findet eine die sogenannte Abwägung der Einwände statt. Schließlich soll dann ein zweiter Entwurf erarbeitet werden, zu dem auch ein Umweltbericht gehört. Auch wenn noch nichts entschieden ist, die Diskussion über die Zukunft der "verbotenen Halbinsel Wustrow" geht wohl in eine neue Runde.