Mord, Hexerei, Ehebruch - Rostock entstaubt Gerichtsakten
Jahrhundertelang blieben die Gerichtsakten des Rostocker Stadtarchivs ungelesen. Nun stauben Archivare sie mit einem Ziegenhaarpinsel ab und fördern dabei spannende Streitfälle um Geld, Ehre und Mordversuche zutage.
15.000 Gerichtsakten lagern im Keller des Stadtarchivs unter dem Rostocker Rathaus. Was sie enthalten, ließ sich bislang nur vermuten. Nun schaffen die Archivare Klarheit und bringen immer mehr historische Streitfälle ans Tageslicht. Noch bis 2028 werden Antje Diebermann und Sebastian Eichler voraussichtlich dafür brauchen.
Dabei holen sie die Akten Stück für Stück aus dem Keller und säubern sie mit einem Ziegenhaarpinsel und einem sogenannten Rußfresser-Schwamm, um sie danach digital zu erfassen. Ihre Aufgabe hat einige komplizierte Aspekte, beginnend mit dem Entziffern der alten Handschriften. Auch das Verstehen historischer Begriffe ist eine Herausforderung.
"Pampe" - Faules Obst oder Waffe?
Etwa bei dem Fall eines Mannes, der von einem anderen mit einer "Pampe" in der Hand durch halb Rostock verfolgt worden ist. Die Archivare vermuteten zunächst, dass es sich um einen Brei oder ein Stück faules Obst handelt. Dann stutzten sie, weil in einem anderen Fall jemand durch eine "Pampe" seinen Arm verlor. Des Rätsels Lösung: Die "Pampe" war ein Breitschwert.
Viele Akten sind so stark zerstört, dass man sie kaum noch lesen kann. Grund dafür: Sie lagerten während des 2. Weltkrieges unter dem Dach des Archivs, dass von einer Brandbombe getroffen wurde. Andere Akten wurden Opfer von Würmern, die ihre Gänge durch die Seiten fraßen.
Diebstahl, Mord und Hexerei
Tausende Seiten der Gerichtsprotokolle samt Skizzen und Zeugenaussagen sind jedoch gut erhalten und geben Einblicke in das Leben der Rostocker Stadtbevölkerung - etwa die Vorstellungen zu Ehre und Werten im Wandel der Jahrhunderte. Verhandelt wurde über Beleidigung, Ehebruch, Diebstahl, Mord oder den Verdacht der Hexerei. Die älteste Akte stammt aus dem Jahr 1560.
Rätselraten um die Urteile
Wenn die Akten - schätzungsweise im Jahr 2028 - vollständig erfasst sind, kann man sie nach Anmeldung im Lesesaal des Stadtarchivs studieren. Bis dahin haben die Archivare hoffentlich auch den Ordner mit den Urteilen gefunden, denn diese wurden separat abgelegt. Bei den meisten Fällen ist der Ausgang also noch gar nicht bekannt.
NDR Reporterin Juliane Schultz und Podcast-Host Mirja Freye sprechen in der Folge "#116: Betrügereien, Ehebruch, Mord - Rostock entstaubt Gerichtsakten“ über mehr spannende Geschichten, über die Hürden beim Verstehen der historischen Akten und die Rettung der Dokumente während der Bombardierung Rostocks im 2. Weltkrieg.