Feuer im Bootsschuppen: Wenn der Brandstifter ein Interview gibt
Über 70 Bootsschuppen sind 2022 in Neubrandenburg abgebrannt. Ein Urteil wird es aber nie geben. Die Pächter stehen vor hohen Zahlungen. Im NDR MV Podcast "Dorf Stadt Kreis" rollen wir den Fall auf.
Feuerschein leuchtet bedrohlich rot über dem Oberbach in Neubrandenburg in dieser jungen Mai-Nacht 2022. Flammen lodern nicht bloß, sie wüten regelrecht in der Bootsschuppenanlage in der Nähe des Tollensesees. In dieser Nacht gehen 63 Holzhäuschen auf Pfählen in Flammen auf - darin verbrennen Lebensträume, der ganze Stolz ihrer Besitzer: große und kleine Motorboote, liebevoll gepflegt und instandgehalten.
Als die Sonne aufgeht, sind nur noch qualmende Trümmer und verkohlte Stümpfe übrig, die aus dem öligen Wasser ragen. Für die Ermittler ist schnell klar: Das war Brandstiftung.
NDR Reporter Sven Peter Martens ist am Tag nach dem Feuer im Mai am Trümmerfeld im Einsatz, berichtet im Livestream bei NDR MV Live und abends im Nordmagazin im NDR Fernsehen. Was er nicht ahnt: Der mutmaßliche Brandstifter steht an diesem Vormittag direkt neben ihm. "Er war derjenige, der auch gleich sprechen wollte", erzählt Martens in der neuen Ausgabe vom Podcast "Dorf Stadt Kreis". "Er wollte sagen, dass er die Feuerwehr gleich informiert hat kurz nach vier Uhr. Und was er alles anstellen würde mit dem Brandstifter, wenn man ihn kriegt." Da sei dann die Rede gewesen, den Täter mit einem Anker irgendwo mitten auf dem Tollensesee zu versenken. Wenig später ist für die Kriminalpolizei klar: Der Mann, der da freimütig und rigoros von Selbstjustiz gesprochen hatte, ist mit großer Wahrscheinlichkeit selbst für das verheerende Feuer verantwortlich.
Ermittler sammeln Indizien
Konkrete Beweise sind zunächst schwer zu finden. "Es gab mehrere Zeugenaussagen, dass sich der Tatverdacht erhärtet hat. Man nennt das Indizienkette", sagt Diana Krüger von der Polizeiinspektion in Neubrandenburg im Podcast. Die Überwachungskamera eines benachbarten Wassersportvereins zeigt einen Mann, der in der Nacht Richtung Bootsschuppen geht. Wenig später kehrt er mit einem Kanister zurück. Zeugen sagen, dass er dem Verdächtigen sehr ähnlich sähe. Der 55-Jährige soll zudem Streit mit einem anderen Pächter gehabt haben - Anlass für ein weiteres Feuer im Frühjahr. Und auch ein dritter Brand in der Anlage soll auf sein Konto gehen. Über 70 Schuppen haben die Feuer zerstört.
Kripo wertet Filmaufnahmen aus
Die Kriminalpolizei wertet zudem auch Aufnahmen des Kamerateams des NDR Nordmagazins aus. "Dazu gab es einen Beschluss des Amtsgerichts Neubrandenburg", sagt Sven-Peter Martens. Die Polizei hatte eine vierköpfige Ermittlungsgruppe gebildet. Diese findet Widersprüche in den Aussagen des Tatverdächtigen. So stimmen Zeitangaben, wann er den Brand entdeckt haben will, nicht überein. Im Interview mit dem NDR hat der Mann andere Angaben gemacht als bei der Polizei. Außerdem gibt es weitere Zeugenaussagen, die nicht zu dem passen, was der Neubrandenburger selbst bei der Kripo ausgesagt hat.
Der Staatsanwaltschaft reichen diese Hinweise, zwar gebe es keine eindeutigen Beweise, aber genug Indizien, die Anklage wird vorbereitet. Aber der Fall endet ohne Urteil. Der Tatverdächtige ist Ende 2022 verstorben.
Pächter sollen für Aufräumarbeiten zahlen
Die Trümmer sind längst beseitigt am Gelände an der Schillerstraße. Hier können neue Bootschuppen gebaut werden. Neubrandenburgs Bauamtsleiter Frank Renner: "Dieses Verfahren wird frühestens 2024 abgeschlossen sein". Gutachten müssen erstellt werden, die Pläne öffentlich ausgelegt werden. Klar ist, dass die neuen Schuppen anders aussehen würden als die historischen grünen und braunen Bretterbuden. Ob aber die bisherigen Pächter dort jemals wieder mit einem ihrer Boote festmachen werden, ist unklar. Viele hatten ihre Fahrzeuge nicht versichert - und die Stadt fordert, dass sich die Pächter an den Kosten für die Räumung der Trümmer beteiligen. Das würde sie finanziell überfordern, sagen viele.
Schwimmbagger haben die verkohlten Balken aus dem Oberbach gezogen, Fachleute haben die Reste von Wellasbestplatten abtransportiert, eine mit Asbeststaub verseuchte Grasfläche abgetragen. 450.000 Euro hat das alles gekostet, die nun die Pächter nach dem Willen der Stadtverwaltung bezahlen sollen. Das wären gut 7.000 Euro für jeden.
Weil es nun kein Urteil geben wird und darum auch niemanden, der finanziell für die Folgen geradestehen will, wird noch viel Wasser den Oberbach herunterfließen, bis der Fall auch in dieser Hinsicht abgeschlossen sein wird.