Der Seemannsclub Hollfast ist Anlaufstelle für Seeleute aus aller Welt. Birgit Haaks schenkt ihnen Bier ein, verkauft SD-Karten und ist da, wenn jemand einfach mal reden will. © NDR Foto: Katja Bülow

Die "Neue" in der Rostocker Seemannsmission

Stand: 28.09.2023 06:34 Uhr

Jeans, T-Shirt, graubrauner Lockenschopf - Birgit Haaks ist seit Anfang September die neue Leiterin der Rostocker Seemannsmission. Ihr Ziel: Sie möchte einfach nur verlässlich da sein für Matrosen aus aller Welt.

von Katja Bülow

Im "Hollfast", dem Club gleich neben der Seehafenkantine, hängen sieben Uhren nebeneinander an der Wand. Eigentlich sollen sie anzeigen, wie spät es gerade ist in Australien, Tokio, Manila, Moskau… Aber schon seit langem hat sie niemand mehr gestellt. Im Club läuft die Zeit sowieso in ihrem ganz eigenen Takt. Er ist eine Anlaufstelle für Matrosen aus aller Welt, ein Ort, an dem sie verschnaufen können vom anstrengenden Alltag an Bord. Birgit Haaks ist gerne hier. Im Oktober vergangenen Jahres hat sie als Seelsorgerin in der Seemannsmission angefangen. Und als vor kurzem der Chefsessel frei wurde, hat sie nicht lange gezögert, sich auf den Posten zu bewerben – obwohl ihr eigentlich noch die geforderte Ausbildung zur Gemeindepädagogin fehlt. Die holt sie jetzt berufsbegleitend nach, fährt dafür einmal im Monat für ein paar Tage nach Ludwigslust.

Wie schützen vor Corona?

Ein Spruch des griechischen Philosophen Aristoteles auf einer Wandtafel des Seemannsclubs. "We can't direct the wind, but we can adjust the sails." © NDR Foto: Katja Bülow
Eine Tafel an der Wand im Seemannsclub zeigt einen Spruch des griechischen Philosophen und Naturforschers Aristoteles auf Englisch.

Birgit Haaks ist gebürtige Düsseldorferin, hat lange in Schleswig-Holstein gelebt, neun Jahre lang in Chile, dann in Leipzig. Sie ist gelernte Lithografin, hat drei Kinder großgezogen und schließlich als klinische Seelsorgerin in einem Altenpflegeheim gearbeitet. Eine Praktikerin, die auch im Team der Rostocker Seemannsmission überall mit anpackt, wo es gerade nötig ist. Daran hat sich auch nach ihrer Beförderung nichts geändert - obwohl es ein paar Herausforderungen gibt, die ihr aktuell durch den Kopf gehen. Die Bordbesuche in der Weihnachtszeit, bei denen die Seemannsmission Christbäume und kleine Geschenke verteilt, müssen vorbereitet werden. Der Festgottesdienst liegt erstmals in ihrer Verantwortung. Und, so fürchtet sie: "Corona kommt zurück. Wir müssen gucken, wie das funktionieren kann, offiziell gibt es ja gar keine Beschränkungen mehr, aber wir müssen sehen, wie wir die Seeleute schützen und wie wir uns schützen."

Sorgen über Familien in der Heimat

Im Andachtsraum ist Platz für Gebete. Dorothea Flake kümmert sich darum, dass Menschen unterschiedlichster Religion hier ihre Ruhe finden. © NDR Foto: Katja Bülow
Im Andachtsraum ist Platz für Gebete. Dorothea Flake kümmert sich darum, dass Menschen unterschiedlichster Religion hier ihre Ruhe finden.

Auch der Krieg in der Ukraine ist ein Thema, das die Gäste des Clubs beschäftigt. Gerade die Seeleute, die aus der Ferne verfolgen müssen, was in ihrer Heimat passiert, seien oft in Sorge, versuchen über Internet und Telefon Kontakt zu ihren Familien zu halten. Andere sind froh, wenn sie sich einfach mal eine Weile ablenken können - im Gespräch in einer der Sitzecken, beim Billiardspielen oder am Tischkicker. Und manche nutzen auch den kleinen interreligiösen Andachtsraum ganz hinten, in dem ein indischer Budda ganz entspannt neben einem jüdischen Chanukka-Leuchter und einem nach Mekka ausgerichteten Gebetsteppich sitzt.

Jeden Tag unterwegs im Hafen

An ihrer Seite hat Birgit Haaks Mitarbeiterinnen wie Dorothea Flake, die gerade von ihren morgendlichen Bordbesuchen zurückkommt. Russen, Ukrainer, Philippinos… das sind die üblichen Stammkunden. Heute waren auch ein paar Polen und ein Schiff mit türkisch-georgischer Besatzung dabei. Tagesaktuelle Nachrichten in verschiedenen Sprachen und Infozettel über den Club verteilen, das ist tägliche Routine. Auf Wunsch bringt sie auch mal einzelne Seeleute zum Geldautomaten oder zum Einkaufen in den nächsten Laden. Die Wege im Hafen sind weit und die Freizeit der Matrosen so knapp bemessen, dass sie sie ohne Fahrzeug kaum schaffen können. Die Seelsorgerin erzählt mit einem Schmunzeln: "Ich bin gerade 31 Kilometer gefahren - nur hier im Hafen."

Ohne Ehrenamtliche geht es nicht

Abgesehen von den fest angestellten Kollegen sind auch fünf ehrenamtliche mit im Team. Der ehemalige Marineoffizier Martin Becker ist einer von ihnen. Nachdem er pensioniert wurde, hilft er im Club mit. "Einfach um ein bisschen was um die Ohren zu haben, um ein bisschen im Englischen drin zu bleiben und mit Seefahrt zu tun zu haben." Es gibt ein paar Frauen, die Strümpfe und Pullover für die Seeleute stricken, einen, der bei Computerproblemen zur Stelle ist, Leute, die Geld oder Sachspenden bringen… Birgit Haaks ist dankbar für diese Unterstützung. "Ganz alleine könnten wir die Arbeit hier nicht in dem Umfang leisten."

Weitere Informationen
Ein LNG-Tanker liegt in einem Becken vor der Rostocker Neptun Werft. © dpa-Bildfunk Foto: Jens Büttner

Päckchen, Karten, Tannen und Gottesdienst für Seeleute

Die Rostocker Seemannsmission bemüht sich, den Seeleuten im Hafen zu helfen - besonders in der Weihnachtszeit. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 28.09.2023 | 16:15 Uhr

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