Bundestagswahl: Welche Rolle spielt der Osten in den Wahlprogrammen?

Stand: 21.02.2025 13:50 Uhr

Der Osten und seine spezifischen Probleme ist ein bislang im Wahlkampf weitgehend ignoriertes Thema. Die ostdeutschen Landesverbände der CDU haben dazu jetzt ein Papier vorgelegt. Aber was planen die anderen Parteien in ihren Wahlprogrammen?

von Maya Rollberg

Kurz vor der Bundestagswahl haben die ostdeutschen Landesverbände der CDU ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz noch ein Papier mit ihren Vorstellungen zu Ostdeutschland vorgelegt. Darin Thema: Finanzielle Förderungen für den Mittelstand und Gründer im Osten. Denn: Ostdeutschland kommt weder im Wahlprogramm der CDU noch in den Wahlprogrammen der anderen Parteien so richtig vor. Vor der Bundestagswahl schauen wir deshalb nochmal genau in die Programme der Parteien und fragen: Welche Rolle spielt der Osten in den Wahlprogrammen? 

Der Osten - im Wahlkampf ignoriert?

Beim diesjährigen Bundestagswahlkampf fallen viele wichtige Themen unter den Tisch. Denn mindestens genauso wichtig wie das Thema Migration dürften für viele Menschen in Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel auch Themen wie Löhne und Renten sein. Aber auch die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Denn die Löhne in Mecklenburg Vorpommern sind laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich 16 Prozent niedriger als im Rest von Deutschland.

Unterschiedliche Löhne in Ost und West

Die Pläne der Parteien zur Lohnangleichung in der Übersicht. © NDR
Die Pläne der Parteien zur Lohnangleichung in der Übersicht.

SPD, Linke und BSW fordern explizit gleiche Löhne in Ost und West. Die SPD setzt dafür auf einen höheren Mindestlohn und eine stärkere Tarifbindung. Die Linke fordert, dass Ost-Renten weiter umgerechnet werden, bis sie an West-Renten angeglichen sind - mindestens aber bis 2030. Außerdem wollen sie einen Investitionsfonds für die Industrien in Ostdeutschland.

Das BSW legt keine genauen Pläne zur Angleichung der Löhne in Ostdeutschland vor. Die FDP fordert eine Wirtschafts- und Forschungsförderung für Ostdeutschland. Die CDU setzt allgemeiner auf Marktmechanismen, um die Löhne in Deutschland insgesamt auf ein höheres Niveau zu bringen. Die AfD kritisiert zwar die wirtschaftlichen Unterschiede, stellt aber keine besonderen Pläne zu wirtschaftlichen Reformen oder Lohnangleichungen in Ostdeutschland vor.

Mindestlohn - für den Osten bedeutender

In Mecklenburg-Vorpommern hätte der Mindestlohn einen größeren Effekt als im Westen Deutschlands, so der Politikwissenschaftler Jan Müller von der Uni Rostock. Dennoch werde darüber nicht wirklich gesprochen, wie die Löhne sich langfristig der wirtschaftlichen Lage anpassen, kritisiert Müller. Gut zu wissen: Da in Deutschland Tarifautonomie gilt, können Parteien und Regierungen bei den Löhnen eigentlich gar nicht so viel entscheiden.

Auch der Mindestlohn wird normalerweise von einer unabhängigen Kommissionfestgelegt - abhängig von der Tarifentwicklung im Land. Die Ampel-Regierung hatte den Mindestlohn ausnahmsweise per Gesetz angehoben. Normalerweise legt aber die Kommission einen Vorschlag vor, den die Regierung dann verbindlich macht.

Solidaritätszuschlag - noch ein Thema?

Nicht alle Parteien thematisieren anhaltende wirtschaftliche Unterschiede in ostdeutschen Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern. Dennoch kommt der Solidaritätszuschlag in allen Parteiprogrammen vor. Schon lange wird er kritisch diskutiert, weil gar nicht klar ist, was genau der Soli finanziert. Denn die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag fließen einfach in den Bundeshaushalt.

Solidaritätszuschlag

Der Solidaritätszuschlag - kurz Soli - wurde 1991 als finanzielle Unterstützung für wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern eingeführt. 2021 wurde der Solidaritätszuschlag reformiert - seitdem müssen ihn nur noch knapp 10 Prozent der Bevölkerung, die Besserverdiener, zahlen. Was genau durch den Soli finanziert wird, ist allerdings gar nicht so leicht zu sagen, da die Steuereinnahmen nicht zweckgebunden sind und einfach in den Bundeshaushalt fließen.

Ostdeutsche Wirtschaft ankurbeln

Die Pläne der Parteien zum Solidaritätszuschlag in der Übersicht. © NDR Foto: Nicole Schmidt (Grafik)
Die Pläne der Parteien zum Solidaritätszuschlag in der Übersicht.

BSW und Linke thematisieren in ihren Parteiprogrammen ausdrücklich die anhaltende wirtschaftliche Benachteiligung von Ostdeutschland. Die Linken fordern einmalige Entschädigungszahlungen, die aus einem "Gerechtigkeitsfonds" finanziert werden sollen. Die Grünen sehen die wirtschaftliche Benachteiligung ostdeutscher Kommunen und wollen dies durch einen von Bund und Länder finanzierten "Altschuldenfonds" statt dem bisherigen Soli ausgleichen.

Der Soli soll im Einkommensteuertarif integriert werden. Die SPD will den Solidaritätszuschlag in seiner derzeitigen Form (bei Spitzenverdienern) beibehalten und langfristige Finanzierungsvereinbarungen zwischen Bund und ostdeutschen Kommunen sichern. CDU/CSU, AFD und FDP wollen den "Rest-Soli", also den derzeitigen Solidaritätszuschlag, restlos abschaffen.

Die FDP sieht Herausforderungen in den ostdeutschen Bundesländern unter anderem aufgrund einer kleinteiligeren Wirtschaftsstruktur und fordert deshalb Steuersenkungen, Bürokratieabbau, die Umsetzung von Reallaboren und eine praxistaugliche Wirtschafts- und Forschungsförderung für die vielen kleinen und mittleren Unternehmen in Ostdeutschland. Den Solidaritätszuschlag sieht sie als Strafsteuer für den Mittelstand. Die AFD sieht in der Abschaffung des Soli ein Mittel, um mehr Netto vom Brutto zu erreichen.

Politische Teilhabe

Die AfD und das BSW kritisieren verstärkt, dass Ostdeutsche in wichtigen Gremien und Positionen unterrepräsentiert sind. Das BSW fordert explizite Maßnahmen, wie die Förderung Ostdeutscher in der Personalentwicklung und als Führungskräfte, im Öffentlichen Dienst und der Verwaltung, in Wissenschaft und Kultur sowie Stipendien für Talente aus Ostdeutschland.

Die Linke will zum Beispiel eine solidarische Ausbildungsumlage, die vor allem in Ostdeutschland die Ausbildungsbetriebe stärken soll. SPD und Grüne konzentrieren sich auf eine bessere Versorgung und Pflege der alternden Bevölkerung. Die Grünen wollen durch den "Bürger*innenfonds" eine Garantie-Rente schaffen, die trotz demografischen Wandels finanzielle Sicherheit schaffen soll. 

Osten nach wie vor unterrepräsentiert

Warum thematisieren die Parteien wichtige Punkte für den Osten nicht in ihren Wahlprogrammen? Politikwissenschaftler Jan Müller von der Universität Rostock sagt, dass der Osten nach wie vor in Berlin unterrepräsentiert sei. Insgesamt sei der Wahlkampf eher auf Schlagworte und Detailfragen wie etwa Mindestlohn oder vereinzelte Steuereinnahmen ausgerichtet, statt auf wichtige langfristige politische Visionen, so der Politikwissenschaftler.

"Wir erleben das der Wahlkampf ausgerichtet war als Wirtschaftswahlkampf und dann aber spätestens mit der vorletzten Debattenwoche eher vollends auf Migration ausgerichtet wurde. Der Osten als Thema kommt nicht so richtig vor.” Jan Müller, Politikwissenschaftler Universität Rostock

Dass der Osten in den Wahlprogrammen so dürftig thematisiert wird, könnte sich eventuell nach der Wahl rächen, so die Einschätzung von Müller. Er rechnet mit großen Wahlerfolgen für die AfD in den ostdeutschen Bundesländern. Eine Ost-Debatte nach der Wahl hält er dann für wahrscheinlich. Welche Rolle der Osten bei der Bundestagswahl spielt, wird sich letztendlich auch am Sonntag entscheiden.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 21.02.2025 | 19:30 Uhr

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