Bahnstreik ab Mittwoch: Warum ein junger Lokführer aus MV die Arbeit niederlegt
Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat im anhaltenden Tarifstreit mit der Deutschen Bahn erneut einen Warnstreik angekündigt. Zwischen Mittwoch und Freitag werden voraussichtlich kaum Züge fahren. Viele Bahnreisende sind genervt. Warum die Eisenbahner ein Lohnplus und kürzere Arbeitszeiten für angemessen halten, erklärt ein junger Lokführer aus MV.
"Das ist einfach seit Kindestagen mein Traumberuf. In der Grundschule war für mich klar: Ich werde irgendwann Lokführer", erzählt Jonas Wagner. Die Faszination zur Bahn scheint in der Familie zu liegen. Einer seiner Großväter arbeitete beim Eisenbahnbundesamt. Mit ihm hat Jonas Wagner an der Modelleisenbahn getüftelt. Früh fängt er in seiner Freizeit an, Züge zu fotografieren und sich für die Technik zu interessieren.
Nach dem Abitur macht Wagner die dreijährige Ausbildung bei der Deutschen Bahn. Seit gut anderthalb Jahren ist er nun endlich Lokführer. Regelmäßig fährt er die Regionalzüge zwischen Rostock und Hamburg, Wismar und Ludwigslust sowie Lübeck und Neubrandenburg. Mit 22 Jahren ist er einer der jüngsten - wenn nicht sogar der jüngste - in diesem Job in Mecklenburg-Vorpommern. "Es gibt für mich nichts Besseres. Ich würde diesen Job für nichts auf der Welt eintauschen." Doch er sagt auch: "In diesem Beruf ist nicht alles schön."
Lokführer beschreibt schlechte Arbeitsbedingungen im Traumjob
Dass er im Schichtdienst arbeiten wird, war ihm klar. Doch dass der so ungeregelt sei, mache ihm zu schaffen. "Mal fängt man um 3:18 Uhr an, am nächsten Tag um 12:54 Uhr und am darauffolgenden Tag ist Schichtbeginn um 22:04 Uhr. Es geht immer kreuz und quer." Jonas Wagner ist sich nicht sicher, wie lange sein Körper das mitmacht. Er hofft, trotz aller Belastung bis zur Rente durchhalten zu können. Nicht alle seiner Kollegen würden das schaffen.
"Zwölf-Stunden-Schichten sind bei uns nicht selten - sowohl geplant als auch unfreiwillig." Die häufig verspäteten Züge bedeuten dann regelmäßig einen verspäteten Feierabend. "Die Schichten, die eh schon sehr knapp geplant sind, werden dann ganz schnell zu zwölf Stunden oder noch mehr. Ich finde das in so einem verantwortungsvollen Beruf sehr problematisch." Im Laufe der Jahre sei aber, so Wagner, vor allem ein zweites Problem besonders belastend geworden: der Umgang von Kundenseite.
Aggressivität der Bahnreisenden habe „extrem zugenommen“
"Für all' das Unvermögen der Bahn, für alles, was die Bahn den Reisenden angetan hat, bekommen wir das (Anm. d. Redaktion: den Frust) ab. Das bekommt nicht der Vorstand oder irgendwelche Fahrplanersteller ab. Das bekommen alles wir ab." Die Aggressivität und die Intensität der Beschwerden der Reisenden hätten extrem zugenommen. "Von verbalen bis körperlichen Angriffen ist mittlerweile alles dabei und es ist fast auf der Tagesordnung." Die Lokführer würden die Fahrgäste eigentlich gerne pünktlich zum Ziel bringen. "Das Problem an der ganzen Sache ist: Alles wird kaputtgespart. Damit können wir das systematisch gar nicht mehr. Das stresst. Keine Schicht läuft nach Plan. Es gibt jeden Tag Abweichungen. Alles läuft durcheinander."
Laut Wagner verlieren er und seine Kollegen so den Spaß an der Arbeit. Je nachdem, wie viele Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge Wagner erhält, landet er im Monat bei etwa 2.200 bis 2.400 Euro netto. Dennoch ist der 22-Jährige der Meinung: Die Arbeitsbedingungen sind in Summe einfach nicht zukunftsfähig - gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. Die Bahn sei am Zuge, den Beruf wieder attraktiver zu machen. Der Lokführer aus Rüting sieht dafür nur zwei Möglichkeiten: "Mehr Geld und weniger Arbeitszeit."
Deutsche Bahn hält Streik für "überflüssig"
Genau diese Punkte finden sich in den Kernforderungen der GDL in der aktuellen Tarifrunde wieder. Die Gewerkschaft fordert unter anderem für alle Eisenbahner 555 Euro mehr im Monat, eine steuerbefreite Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000 Euro sowie eine 35-Stunden-Woche - anstatt wie bislang etwa 38. In dieser Woche folgt nun der dritte und längste Ausstand der Gewerkschaftsmitglieder in der laufenden Auseinandersetzung.
Die Deutsche Bahn reagierte unmittelbar auf eben jenen Streikaufruf. Sie versuchte juristisch dagegen vorzugehen. Das Arbeitsgericht in Frankfurt am Main lehnte den Eilantrag auf einstweilige Verfügung ab. Die Bahn kündigte an, in Berufung zu gehen. Der Konzern arbeitet eigenen Angaben zufolge an einem Notfahrplan. Währenddessen nannte DB-Personalvorstand Martin Seiler den Streik "überflüssig". Er verwies darauf, dass die Bahn Ende vergangener Woche ein neues Angebot vorgelegt habe, bei dem sie der Gewerkschaft "einen großen Schritt entgegen gekommen" sei. Seiler ließ schriftlich zudem mitteilen, die Umsetzung aller 35 GDL-Forderungen würde die Personalkosten um 50 Prozent steigern.
Fahrgastverband ProBahn in MV spricht von "Geiselhaft der Fahrgäste"
Beim Fahrgastverband ProBahn in Mecklenburg-Vorpommern blickt man kritisch auf die verhärteten Fronten. Verbandsvorsitzender Marcel Drews betont: "Wir hielten es für sinnvoller, wenn die Verhandlungspartner an den Verhandlungstisch zurückkehren." Er sorgt sich wegen der Belastung für viele Fahrgäste. Diese könnten sich bei kurzen Streiks von maximal einem Tag auf die Umstände einstellen. "Bei drei Tagen sinkt die Grenze der Zumutbarkeit." Drews hofft auch eine schnelle Einigung, "denn nur so kann im Interesse der Fahrgäste für ein nutzbares Angebot der Vertragsparteien agiert werden und die Geiselhaft der Fahrgäste beendet werden."
Jonas Wagner hat ein Stück weit Verständnis für den Unmut und Frust der Reisenden. Schließlich würden sie viele Menschen in ihrem Alltag behindern. Doch der Streik sei notwendig. "Jeder in Deutschland hat die Möglichkeit, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren, in den Arbeitskampf einzutreten und für mehr Geld auf die Straße zu gehen. Das ist ein Grundrecht und wir machen davon regelmäßig Gebrauch." Zum Abschluss sagt der Lokführer, das sei die einzige Möglichkeit, mit der sie ihren Arbeitgeber zum Handeln zwingen könnten. Jonas Wagner ist sich ziemlich sicher, das wird nicht der letzte Streik in dieser Tarifrunde.