Implantate und Co: Was können Patienten tun?
Wer Schmerzen hat, hofft meist auf schnelle Hilfe. Doch bevor man sich für eine Prothese oder ein anderes Medizinprodukt entscheidet, sollte man sicher sein, dass es keine Alternativen gibt. "Wenn man Schmerzmittel nehmen muss oder Bewegungseinschränkungen hat - wenn also nichts anderes mehr hilft - dann kann man über eine Prothese nachdenken", sagt Christian Soltau, Medizinrechtsexperte der Techniker Krankenkasse (TK).
Muss es wirklich sein?
Versicherte sollten sich von ihrem Arzt genau erklären lassen, wieso er ein bestimmtes Produkt einsetzen möchte. Gibt es Alternativen, aus welchem Material besteht das Produkt, welche Erfahrungen haben andere Patienten damit gemacht und wie lange hält es voraussichtlich? Lassen Sie sich möglichst Unterlagen zu dem Produkt geben, in denen Angaben zu Material und zur Verwendung gemacht werden!
Nur in Fachklinik operieren lassen
Krankenkassen raten generell: Holen Sie sich eine Zweitmeinung ein. Vielleicht kann so sogar der Eingriff umgangen werden. "Zudem sollte man sich in einer Fachklinik behandeln lassen, denn dort kann man sicher sein, dass der Arzt Routine hat", empfiehlt Soltau. Das Krankenhaus sollte Endocert zertifiziert sein. Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (DGOOC) vergibt das Siegel an Kliniken, die bestimmte Qualitätskriterien erfüllen. "Da kann man sich in der Regel darauf verlassen, dass Implantate verwendet werden, die dem aktuellen Stand entsprechen", sagt Hartwig Bauer, ehemaliger Präsident und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie.
Welches Produkt ist das richtige?
Viele Kassen bieten Beratung vor einer Operation an. Die DAK stellt beispielsweise einen Ärzte-Chat zur Verfügung. "Auch unser Ärztezentrum kann Tipps geben oder Bedenken zerstreuen," sagt Soltau von der TK. Die größte Krankenversicherung Deutschlands bietet zudem eine Hotline für Behandlungsfehler und Medizinprodukte. Weiß der Patient, welches Produkt er bekommen soll, kann er dort nach Auffälligkeiten fragen. Viele Kassen erheben zudem eigene Daten aufgrund von Beschwerden und Korrekturoperationen. "Wir versuchen systematisch, diese Fehler zu identifizieren. Wenn uns etwas auffällt, gehen wir dem nach", erklärt Dominik Schirmer, Bereichsleiter Verbraucherschutz bei der AOK Bayern. Auch die AOK bietet Hilfe bei Problemen mit Implantanten.
Zudem können andere Betroffene helfen: Sie tauschen sich oft in Foren und Selbsthilfegruppen aus.
Datenbanken für Rückrufe und Sicherheitshinweise
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte veröffentlicht Hinweise von Herstellern und anderen Kontrollbehörden, Rückrufaktionen oder Empfehlungen von Ärzten. Auch die Datenbanken der Schweizerischen und US-Behörde sind online einsehbar. Da offenbar nicht alle Ärzte und Hersteller ihrer Meldepflicht nachkommen, sind dort allerdings nicht alle Probleme erfasst.
Das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) sammelt zudem im Zuge der Recherche #ImplantFiles Rückrufe und Sicherheitshinweise aus der ganzen Welt. Die Journalisten sammeln weiterhin Fälle und Meldungen.
Patienten sollten zudem klären, ob sie das Material des Implantats vertragen. Eine Spezialsprechstunde hierzu bietet nur die Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Allerdings wird sie von einigen Medizinprodukt-Herstellern unterstützt, was Patienten bedenken sollten, wenn ihnen Produkte nahegelegt werden.
Prothesen/Implantat-Pass ausstellen lassen
Wichtig ist nach der Operation, sich einen Prothesen- oder Implantat-Pass ausstellen zu lassen. Darin werden unter anderem das Datum der Operation, Hersteller und Produktname jeder einzelnen Komponente vermerkt. Der Pass ist auch bei Flugreisen und Sicherheitschecks hilfreich.
Über das Produkt laufend informieren
Ist ein Produkt von einem Problem betroffen, sollten Ärzte die Patienten kontaktieren - darauf ist allerdings nicht unbedingt Verlass. Auch Krankenkassen können von Rückrufaktionen Betroffene nicht anschreiben, da Ärzte ihnen nicht mitteilen, welche Produkte sie einsetzen.
Erster Ansprechpartner bei Zweifeln ist zunächst der Arzt, der die Krankengeschichte am besten kennt. "Wenn mir allerdings etwas eingebaut wurde, das wieder rausgenommen werden muss, würde ich eher in eine andere Klinik gehen, die mit dem betroffenen Hersteller nicht verbunden ist", empfiehlt Soltau von der TK.
Beweise sichern
Wird ein fehlerhaftes Produkt entfernt, sollte man das Krankenhauspersonal bitten, es aufzubewahren. Es gehört dem Patienten ohnehin und könnte später als Beweismittel dienen, wenn es etwa um Schmerzensgeld geht. "Der Patient ist in der unglücklichen Situation, dass er beweisen muss, dass das Produkt schadhaft war. Daher sollte er sicherstellen, dass das Produkt auf seinem Nachttisch liegt, wenn er erwacht." Soltau kennt viele Fälle, in denen Vertreter der Hersteller direkt nach der OP das Produkt mitgenommen haben, um es zu prüfen - zumindest offiziell. "Dabei geht es gerne mal kaputt."
Für mögliche rechtliche Auseinandersetzungen in der Zukunft kann man bereits vorab Gedächtnisprotokolle von den Gesprächen und Untersuchungen mit Ärzten aufzeichnen. Für die Vertretung vor Gericht gibt es auf Medizinrecht spezialisierte Anwälte. Eine Zusammenarbeit mit der Krankenkasse ist auch sinnvoll. Sie kann Versicherten Gutachten und Informationen für ihre Prozesse zur Verfügung stellen.
Grundsätzlich sind die Hersteller für die Sicherheit ihrer Produkte verantwortlich. Ob ein Produktfehler oder ein Behandlungsfehler durch den Arzt vorliegt, ist im Einzelfall aber oft strittig. Geht der Hersteller pleite, haben Patienten besonders wenig Chancen auf Schmerzensgeld: Denn in Deutschland können Produzenten auch ohne Haftpflichtversicherung ihre Produkte verkaufen.