Stand: 07.12.2014 18:00 Uhr

Afghanische Ortskräfte: Bei Anruf Morddrohung

Sie übersetzen bei Treffen mit Stammesältesten, fahren mit in Kampfeinsätze der Bundeswehr, bewachen Lager oder setzen Entwicklungshilfeprojekte um: Mehrere Tausend Dolmetscher, Projektmanager und Fahrer hat die Bundesregierung seit 2002 in Afghanistan beschäftigt. Nicht erst seit Beginn des Bundeswehrabzuges werden sie bedroht und sogar angegriffen. Und trotzdem lässt die Bundesregierung sie oftmals nicht ausreisen. Darüber haben NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung" in den vergangenen Wochen immer wieder berichtet. In zwei der recherchierten Fälle hat sich das Blatt jetzt gewendet: Die Afghanen bekamen nach den Berichten die Zusage für eine Ausreise nach Deutschland.

von Rebecca Gudisch und Christoph Heinzle

Amruddin Muradi
Amruddin Muradi hat vier Jahre lang als Dolmetscher für die Bundeswehr gearbeitet. Anschließend erhielt er Todesdrohungen.

Amruddin Muradi bekommt die Drohung der Taliban zunächst per Brief: "Wenn wir Dich erwischen, werden wir Dich töten", steht da. Kurz darauf liegt eine DVD vor seiner Haustür in Kundus. Das Video zeigt Muradi, wie er von 2009 bis 2013 als Dolmetscher für die Bundeswehr arbeitete. Spion stehe da in roter Schrift, sagt Muradi und deutet neben einen Pfeil auf dem Video, der auf seinen Kopf zeigt. Zwei Mal wurden Muradis Anträge abgelehnt. Erst als er über dieses Video in Radio und Fernsehen berichtet und er es der Bundeswehr vorlegt, geht es in voran. Immer wieder scheint sich das Blatt für die Betroffenen nur zu wenden, weil Medien über sie berichten - wie etwa im Polit-Magazin Panorama am 16. Oktober. Kurz nach dem Fernsehbericht bekommt Muradi eine Zusage für die Ausreise. Und auch eine ehemalige Ortskraft des Entwicklungsministeriums, deren erster Antrag abgelehnt worden war, darf nach Deutschland, nachdem das Rechercheteam Fragen zu dem Fall gestellt hatte.

60 Prozent Ablehnungen

Etwa 1.200 Fälle hat die Bundesregierung bisher geprüft, 60 Prozent lehnte sie ab. Warum, sagt sie nicht. Kein Kommentar zu Einzelfällen, keine Interviews. Generell sehen die Ministerien keine Probleme und schreiben, man werde der Verantwortung für die Ortskräfte gerecht. Einige Innenpolitiker im Bundestag sehen das anders. Es sei richtig, dass bei der Anerkennungskultur von Soldaten und rückkehrenden Soldaten nach Deutschland immer sehr viel politisch unternommen werde, sagt die Grünen-Politikerin Luise Amtsberg. "Aber dasselbe wünsche ich mich natürlich auch für die einheimischen Ortskräfte, die schließlich auch im Interesse ihres Landes vor Ort aktiv waren für die Bundeswehr." Schließlich müssten die Betroffenen, wenn sie in eine Bedrohungssituation gerieten, ihr gesamtes Leben in ihrem Heimatland aufgeben und in Deutschland neu starten.

Mit sechs Kindern in einem Zimmer

Gul Faiz © NDR
Gul Faiz war zwölf Jahre lang Übersetzer bei der Bundeswehr. Nun ist er in Deutschland - von seinem früheren Arbeitgeber hat er noch nichts gehört.

Gul Faiz und seine Familie erlebten im Ruhrgebiet einen Neustart mit großen Hindernissen. Mit sechs Kindern lebt das Paar in einem Zimmer. Afghanistan hatten sie wegen Todesdrohungen der Taliban verlassen - Gul war zwölf Jahre lang Übersetzer bei der Bundeswehr. Seit er in Deutschland ist, hat er nichts mehr von seinem früheren Arbeitgeber gehört. "Die Bundeswehr hat bis jetzt gar nichts gemacht", sagt Gul. "Die Bundeswehr hat uns mit nach Deutschland genommen und uns hier einfach rausgelassen - wie einen Vogel. Ich finde, das geht nicht."

Keine Hilfe bei der Wohnungssuche

Und dann wird auch noch das Zimmer, in dem die achtköpfige Familie lebt, gekündigt. In Deutschland sei es schwierig, mit sechs Kindern eine Wohnung zu finden, sagt Gul. Bei der Wohnungssuche hilft niemand, auch nicht die Bundeswehr. Es hagelt Absagen. Guls Frau bringt die Situation zum Weinen. "Wenn die mich jetzt zurückschicken würden, wäre es mir auch egal", sagt sie verzweifelt.

Schule "hat keinen Platz"

Anfang November gibt es dann gute Nachrichten. Mithilfe der Journalisten findet die Familie endlich eine neue Wohnung. Doch einfach ist das Leben für sie noch immer nicht. "Schule und Kindergarten - das ist schwierig. Wir sind seit drei Wochen hier, und die Kinder sind alle zu Hause", erzählt Gul. Die Schule habe mitgeteilt, dass sie keinen Platz für die Kinder habe. "Ich hoffe, dass jemand von der Bundeswehr oder das Rathaus helfen, damit unsere Kinder in die Schule gehen können", sagt Gul. "Alleine schaffe ich das nicht!"

Mit dem Schicksal bedrohter afghanischer Ortskräfte beschäftigen sich am Montagabend gleich zwei Sendungen: das Forum auf NDR Info ab 20.30 Uhr - und "die story" im WDR Fernsehen um 22 Uhr.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 08.12.2014 | 07:50 Uhr

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