Die Bossa Nova-Story, Teil 1 & 2
Vier Leute sitzen im Kreis auf dem Fußboden eines Studios in Rio. Dreißig Mal war ein Termin für die Session angesetzt worden, aber der Hauptakteur ließ sich nie blicken. Eines Tages, als es viel regnete, hatte João Gilberto bei der Sängerin Maria Bethania angeklopft und gesagt, "Komm, heute machen wir die Platte!" Marias Bruder Caetano Veloso und Gilberto Gil hocken da, João hat seine Gitarre dabei und in wenigen Stunden entsteht das Album "Brasil". Gleich zu Beginn, in "Aquarela do Brasil" von Ary Barroso, zeigt João seine Gesangskunst - jedes "a" genüsslich dehnend wie beim letzten Wort der ersten Strophe, "passaaaaaado". Wie Charlie Chaplin, der vor dem Polizisten fliehend um die Kurve biegt, auf einem Fuß landet, fast umkippt, noch ein paar Mal ausgelassen auf dem Fuß hüpft und weiterläuft. João Gilberto - der größte Sänger einer neuen Musik aus Rio de Janeiro, die um 1960 auf ihre Weltumlaufbahn ging. Der Mann mit der Gitarre und der melancholischen Stimme machte die Songs von Antonio Carlos Jobim und dem Poeten Vinicius de Moraes weltberühmt.
Seelenschmerz ohne Glamour
Als Achtzehnjähriger übersiedelt João Gilberto de Prado Pereira de Oliveira, geboren am 10. Juni 1931 in Juazeiro/Bahia, nach Rio. Ein paar Jobs als Studiogitarrist bei CBS hat er, doch erst mit 27 Jahren landet er seinen ersten Hit, "Chega de Saudade" (Schluss mit der Sehnsucht) aus einer langen Erfolgsserie des Songschreiber-Teams Jobim/de Moraes: "Geh, mein Kummer, geh / Und sag ihr, dass es / Ohne sie nicht geht / Schick ihr ein Gebet, / Damit sie versteht, / Dass ich nicht länger / Leiden kann." In zwei Minuten das bittersüße Antidoton gegen Melancholie.
Der Poet Olavo Bilac sagte, die brasilianische Musik sei die Liebesfrucht (flor amorosa) dreier trauriger Rassen: der Portugiesen fern ihrer Heimat, der verschleppten Afrikaner und der Indios, denen man das Land geraubt hatte. João klingt anders als die sich mit großen Orchestern duellierenden Radiosänger, ohne eine Spur von Glamour und trotzdem magisch. Leicht bekifft und notorisch pleite surft die Stimme auf der Welle des Seelenschmerzes - "alles ist trist / nichts als Kummer / und die Melancholie / lässt mich nicht los." Die donnernde Percussion der Sambaschulen ist reduziert aufs absolute Minimum.
Wie Zucker im Kaffee
Tom Jobim ist ein großer Sinatra-Fan. Bei einem Freund in Rio lauscht João Gilberto hingerissen dem neuen Westcoast Jazz mit seinen alterierten Akkorden, der mit der Bossa Nova verschmilzt wie Zucker im Kaffee. So findet er seine Formel: ein Kondensat des Samba-Grooves, Gitarre und Gesang zu einer faszinierenden dialogische Struktur verwebend, wobei er nie einen Song zweimal auf dieselbe Art singt. Im Jahr 2000 überredet Caetano Veloso seinen "Guru", für das Album "João, voz e violão" den Klassiker "Chega" mit der raffiniert mäandernden Melodie so zu singen, als müsse auf dem Bandkarton "Aufbewahren für alle Ewigkeit" stehen.
- Teil 1: Seelenschmerz ohne Glamour
- Teil 2: Bossa Nova - der Musikstil aus Brasilien in zwei Teilen.