Schule: Länder vernachlässigen Inklusion
Es ist Dienstagmorgen - Unterrichtsbeginn in der 3c der Stadtschule Bad Oldesloe. Deutsch steht auf dem Plan - auch für Max. Äußerlich ist der 10-Jährige ein ganz normales Kind. Doch Max hat eine Lese- und Schreibschwäche und ist deshalb nicht so schnell wie seine Mitschüler. Er ist ein klassisches Förderkind. "Es ist einfach so, dass er eine häufige Betreuung benötigt, damit er weiß, was er tun soll und ob er das Richtige macht", erklärt Sonderpädagogin Christa Mutzeck.
Inklusion: eigentlich eine gute Idee
Dass Max deshalb nicht auf eine Förderschule, sondern in die ganz normale Regelschule geht, ist das Ergebnis der sogenannten Inklusion. Die Idee: Alle Kinder sollen gemeinsam lernen – ob mit oder ohne Förderbedarf. 2009 unterschrieb die Bundesrepublik eine entsprechende UN-Konvention. Seitdem haben Eltern einen Rechtsanspruch auf gemeinsamen Unterricht.
Im Norden ist das Bild in Sachen Inklusion dennoch uneinheitlich. Niedersachsen bildet das Schlusslicht: Hier besuchen derzeit nur ein Viertel der Kinder mit Förderbedarf den gemeinsamen Unterricht mit Nicht-Förderkindern. In Mecklenburg-Vorpommern ist bereits jedes dritte Förderkind an einer Regelschule. Deutlich mehr sind es in Hamburg und Schleswig-Holstein: Rund 60 Prozent der Kinder mit Förderbedarf besuchen hier den gemeinsamen Unterricht.
Zu wenig Sonderpädagogen in Schleswig-Holsteins Schulen
Dass viele Kinder mit Förderbedarf auf Regelschulen gehen, heißt jedoch nicht unbedingt, dass die Inklusion in diesen Bundesländern reibungslos läuft. Das merkt Max in Bad Oldesloe fast jeden Tag. Gerne hätte er Sonderpädagogin Christa Mutzeck immer an seiner Seite: "Sie weiß, dass ich mit ein paar Sachen Schwierigkeiten hab. Die anderen Lehrer können damit nicht so gut umgehen", sagt der 10-Jährige. Doch der Gesetzgeber sieht eine solch intensive Betreuung nicht vor.
Im Gegenteil: Neben Max muss sich die Sonderpädagogin allein in seiner Klasse um fünf weitere Inklusionskinder kümmern. Und ihre Zeit mit den Schülern ist streng begrenzt: Gerade einmal 1,6 Stunden hat sie durchschnittlich je Förderkind zur Verfügung - pro Woche. Den Rest der Zeit ist Klassenlehrerin Inga Lehmann mit den sechs Inklusionskindern und den restlichen 18 Schülern allein.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern mangelt es an Personal
Eine Situation, die Marie Schmidt sehr gut kennt. Die Geschichtslehrerin unterrichtet an der Astrid-Lindgren-Schule in Schwerin. Hier in Mecklenburg-Vorpommern werden die Lehrer sogar noch seltener durch Sonderpädagogen unterstützt. Eine Stunde pro Kind ist es im Schnitt in der Woche. In der Praxis heißt das für Marie Schmidt: Sie ist in ihren Geschichtsstunden immer mit den Kindern allein. "Ich komme wirklich manchmal an meine Grenzen. Ich möchte helfen, weiß aber nicht, wie ich es zeitlich schaffen soll“, sagt die junge Lehrerin.
Minister räumt Mängel ein - und will gegensteuern
Ist die Inklusion also eine überstürzt eingeführte Idee ohne Plan? Gut gemeint - aber schlecht gemacht? Der zuständige Bildungsminister in Mecklenburg-Vorpommern, Mathias Bordkorb, räumt ein, dass etwas schief läuft: "Die Entwicklung in den Schulen ist nicht ganz so, wie man sich das wahrscheinlich gewünscht hätte. Es ist uns wie in allen anderen Ländern nicht ganz gelungen, die Weiterbildung rechtzeitig anzubieten und ausreichend Förderressourcen anzuweisen.“ Mit Fortbildungen, mehr Geld und einer veränderten Lehrerausbildung will er nun nachsteuern.
Eltern können Schule nicht ersetzen
Im schleswig-holsteinischen Bad Oldesloe sieht auch Max‘ Mutter mit Sorge auf die Zukunft ihres Sohnes. Spielerisch versucht sie zu Hause Max weiter zu fördern, übt mit ihm Lesen, macht Hausaufgabenhilfe. Doch ausgleichen, was in der Schule versäumt wird, kann Stefanie Bollmann-Bornhorst nicht. Sie fürchtet, dass Kinder wie Max im derzeitigen Inklusions-System unter Umständen durchs Netz fallen: "Denn die Fähigkeiten, die sie haben, werden bisher nicht ausreichen erkannt und gefördert", so die Mutter.