Landarzt-Mangel: Maßnahmen laufen ins Leere
Gisela Jenssen ist 81 Jahre alt. Doch statt ein ruhiges Renterinnendasein zu führen, hat die alte Dame heute mal wieder einen langen Tag in Ihrer Landarztpraxis in Ribnitz-Damgarten vor sich. Das Wartezimmer ist voll, Grippe, Schnupfen, Bauchweh - stets ist Gisela Jenssen zur Stelle. Und das seit über 50 Jahren.
Durchschnittsalter: 53 Jahre
Und sie ist kein Einzelfall: in den vergangenen Jahren ist das Durchschnittsalter praktizierender Ärzte auf fast 53 Jahre gestiegen, das durchschnittliche Renteneintrittsalter liegt inzwischen bei über 65 Jahren. Das bedeutet, die praktizierenden Ärzte werden immer älter, gehen immer später in Rente. Der Grund ist seit Jahren bekannt - und beklagt: Viele Ärzte finden für ihre Praxen keinen Nachfolger, in vielen ländlichen Gegenden gibt es eine gravierende Unterversorgung.
Gesetz bleibt wirkungslos
2012 hat die Politik deshalb das sogenannte "Versorgungsstrukturgesetz" beschlossen. Es sah vor, junge Ärzte mit speziellen Anreizen aufs Land zu locken oder ihnen eine bessere Abrechnungsmöglichkeit als Landarzt in Aussicht zu stellen. Es war der rote Teppich, den die Politik den angehenden Ärzten ausrollen wollte.
Für das Bundesministerium für Gesundheit der ganz große Wurf. Bis heute verspricht es auf seiner Internetseite: "Die Versorgung der Patientinnen und Patienten wird sich maßgeblich verbessern." Doch davon ist bis heute wenig zu sehen: Statt jungen Ärzten die Praxis zu übergeben, praktizieren die alten Ärzte selbst, um ihre Patienten nicht alleine zu lassen.
Im ganzen Norden fehlen praktische Ärzte
Gleichzeitig wächst das Problem weiter: In Mecklenburg-Vorpommern werden in den kommenden zehn Jahren 520 Mediziner offiziell in Rente gehen können, die Hälfte aller Allgemeinmediziner, in Schleswig-Holstein sind es 610, in Niedersachen gar 1.000 Allgemeinärzte.
Andererseits schwächelt es auch auf der Ausbildungsseite. Es fehlen ausreichend Studienplätze für Mediziner. Und die Studenten, die es gibt, spezialisieren sich lieber und übernehmen eine lukrative Facharztpraxis in einem Ballungsgebiet. Die finanziellen Anreize für potenzielle Landärzte scheinen dort einfach nicht zu greifen und kommen viel zu spät.
Ärzte beurteilen die Lage kritisch
Ein Landarzt alten Schlages ist auch Jan Geldermann aus Gartow in Niedersachsen. Er ist mit seinen 68 Jahren noch beinahe "jung" für einen Landarzt. Dennoch kämpft auch er gegen lange Tage und zunehmend schwere Beine. Doch seine Patienten danken ihm seine Einsätze, sowohl in der Praxis als auch immer noch bei Hausbesuchen.
Auch er bleibt skeptisch, was eine mögliche Nachfolge angeht: "Inzwischen sind die jungen Mediziner 34, haben eine Familie und möchten irgendwann auch mal Geld sehen. Außer einem überzogenen Konto haben sie ja nichts. Und dann haben wir immer mehr Frauen als Medizinstudenten. Die werden sagen, ich muss die Kinderversorgung auch noch hinbekommen und da ist ein Einzelkämpfer auf dem Land vielleicht nicht das Ideale, was sie sich vorstellen."