Links die Polarstern und rechts das russische Forschungsschiff „Akademik Fedorov“ bei einer gemeinsamen Expedition im Nordpolarmeer. © Alfred-Wegener-Institut / Jan Rohde Foto: Jan Rohde
Links die Polarstern und rechts das russische Forschungsschiff „Akademik Fedorov“ bei einer gemeinsamen Expedition im Nordpolarmeer. © Alfred-Wegener-Institut / Jan Rohde Foto: Jan Rohde
Links die Polarstern und rechts das russische Forschungsschiff „Akademik Fedorov“ bei einer gemeinsamen Expedition im Nordpolarmeer. © Alfred-Wegener-Institut / Jan Rohde Foto: Jan Rohde
AUDIO: Wie der Krieg in der Ukraine die Klimaforschung beeinträchtigt (10 Min)

Klimaforschung ohne Russland: "Weiße Flecken werden größer"

Stand: 14.04.2023 10:39 Uhr

Tauende Permafrostböden und arktische Eismassen: Was in Russland und vor der russischen Küste passiert, ist für die Klimaforschung höchst relevant. Durch den Ukraine-Krieg fehlen aber Daten.

von Anna Behrend

"Das war am Anfang natürlich ein Schock", sagt Anne Morgenstern, wenn sie darüber spricht, was der Angriff Russlands auf die Ukraine vor gut einem Jahr für ihre Arbeit bedeutete. Morgenstern ist Wissenschaftlerin am Alfred-Wegner-Institut für Polar- und Meeresforschung - kurz AWI. Dort ist sie zuständig für die deutsch-russischen Forschungskooperationen des Instituts. Eher müsste man sagen, sie war es, denn kurz nach Beginn des Krieges wurden alle Projekte mit russischer Beteiligung auf Eis gelegt.

"Dass man jetzt diese Art der Zusammenarbeit und auch den persönlichen Austausch so nicht mehr weiterführen kann, das trifft schon", sagt Morgenstern. Sie hat selbst in Sibirien zur Entwicklung des Permafrosts geforscht, also jenen Böden, die dauerhaft gefroren sind und die jede Menge Treibhausgase freisetzen können, wenn sie im Zuge der Erderwärmung auftauen.

Deutsch-russische Forschungsstation in Sibirien

Die Daten über den Permafrost sammelte das AWI bis Kriegsbeginn auch gemeinsam mit russischen Kolleginnen und Kollegen in einer Forschungsstation auf der sibirischen Insel Samoylov, gut 4.000 Kilometer Luftlinie von Moskau entfernt.

Wissenschaftlerin Anne Morgenstern in der Nähe der Forschungsstation auf der sibirischen Insel Samoylov, in einem Tal, das durch den auftauenden Permafrost-Boden entstanden ist. © Alfred-Wegener-Institut / Paolo Verzone Foto: Paolo Verzone
Wissenschaftlerin Anne Morgenstern in der Nähe der Forschungsstation auf der sibirischen Insel Samoylov.

"Die Dauermessstationen zeichnen auch weiter Daten auf, soweit wir wissen, Allerdings werden sie uns nicht mehr direkt zur Verfügung gestellt, wie es früher der Fall war", erzählt Morgenstern.

Ähnlich geht es auch Forscherinnen und Forschern am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Sie haben gemeinsam mit Partnern aus Russland mitten in der sibirischen Taiga einen 300 Meter hohen Messturm errichtet - das Zotino Tall Tower Observatory, kurz Zotto, benannt nach dem nächstgelegenen Ort Zotino.

Der Wald in der Taiga als Kohlenstoffspeicher

Dort untersuchten sie den borealen Wald, also die nördlichste Waldform der Erde, die sich wie ein grünes Band über Alaska, Kanada, Skandinavien und Sibirien erstreckt. Denn auch dieser Wald ist ein riesiger Kohlenstoffspeicher und durch den Klimawandel stark beeinflusst. Doch auch von Zotto gelangen keine Daten mehr nach Deutschland.

Der Zotto-Messturm des Max-Planck-Instituts in Jena in der sibirischen Taiga. © St. Schmidt Foto: St. Schmidt
Der Zotto-Messturm des Max-Planck-Instituts in Jena in der sibirischen Taiga.

"Ich habe die Hoffnung, dass die Daten der Weltgemeinschaft irgendwann auch wieder zur Verfügung gestellt werden, aber wann das soweit ist, ist nicht klar", sagt Sönke Zaehle, Direktor am Max-Planck-Institut in Jena.

Gerade in einer Phase, in der der Klimawandel langsam sichtbar werde, verursache der Kooperations-Stopp große Datenlücken, die für das Verständnis des Erdsystems schwerwiegend seien, sagt Zaehle. Schließlich gehe es bei der Klimaforschung darum, globale Ökosysteme zu verstehen. Aber man müsse akzeptieren, dass man angesichts des völkerrechtswidrigen Kriegs nicht weitermachen könne wie bisher.

Dass es bei deutsch-russischen Forschungsprojekten kein Weiter wie bisher geben würde, war schnell klar: Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, ein Zusammenschluss der wichtigsten Forschungseinrichtungen in Deutschland, empfahl bereits einen Tag nach Kriegsbeginn, wissenschaftliche Kooperationen mit staatlichen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen in Russland sofort einzufrieren.

Aus für rund 150 deutsch-russische DFG-Projekte

Allein rund 150 Projekte mit russischer Beteiligung, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurden, waren von dem Projektstopp betroffen. Eine "schmerzhafte, aber unvermeidliche und nur konsequente Entscheidung" heißt es dazu auf Nachfrage von der DFG.

Auch am AWI lief damals ein DFG-gefördertes Projekt. Inzwischen wurde es so umgestaltet, dass ohne die russischen Partner weiter geforscht wird. Für das AWI nur eins von vielen Projekten mit russischer Beteiligung. Ein großer Teil der Arktis liege auf russischem Territorium, daher sei Russland so ein wichtiger Partner bei vielen Projekten gewesen, sagt Wissenschaftlerin Morgenstern. "Die Arktis ist ein sehr schwer zugängliches Gebiet." Die Datenabdeckung sei daher auch früher schon in vielen Regionen nicht ausreichend gewesen. "Und diese Situation hat sich jetzt mit dem Ukraine-Krieg weiter verschärft, weil die weißen Flecken auf der Landkarte viel größer werden, als sie es ohnehin schon waren", so Morgenstern.

Sowohl am Alfred-Wegner- als auch am Max-Planck-Institut versucht man sich daher zu behelfen: Zum Beispiel mittels Fernerkundungsmethoden, also der Forschung mit Hilfe von Satellitendaten oder mit Projekten in Nordamerika, wo es ebenfalls Permafrost gibt. Aber wirklich ersetzen lässt sich die Forschung vor Ort in Russland nicht.

Persönliche Kontakte bleiben teils bestehen

Die russische Forschung orientiert sich laut AWI-Forscherin Morgenstern derweil mehr in Richtung Brics-Staaten, also etwa China oder Indien. Doch auch wenn die deutsch-russische Forschung auf institutioneller Ebene eingefroren ist, gibt es doch immer noch etwas Kontakt: Anders als an anderen deutschen Forschungseinrichtungen dürfen am AWI und am Jenaer MPI noch Ergebnisse aus der Vorkriegszeit gemeinsam mit den russischen Partnern veröffentlicht werden. Und es gibt auch nach wie vor persönliche Kontakte, sagt Anne Morgenstern: "Über die Jahre sind auch Freundschaften entstanden, und viele Kollegen sind auch weiterhin im Austausch miteinander."

MPI-Wissenschaftler Zaehle sieht einen Vertrauensverlust durch den Krieg. "Das Verhältnis ist jetzt natürlich sehr schwer gestört und es wird danach sehr lange dauern, bis wir diese Kontakte wieder auf dem gleichen Niveau aufbauen können."

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Wissen | 14.04.2023 | 06:50 Uhr

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