Kindeswohl: Wenn Eltern am Jugendamt verzweifeln
Kevin in Bremen, Lea-Sophie in Schwerin und Chantal in Hamburg - drei Namen von Kindern, die bei jedem Erinnerungen hervorrufen. Erinnerungen an fürchterliche Geschichten von Verwahrlosung und Tod. Und Geschichten, in denen das zuständige Jugendamt massiv unter Druck geriet. Die Vorwürfe nicht oder viel zu spät gehandelt zu haben, um diese Kinder zu schützen, waren heftig und brachten die Ämter in schwere Bedrängnis.
Steigende "Inobhutnahmen"
Seitdem, so der Anschein, gucken Jugendämter besonders aufmerksam und gehen jedem Verdacht auf Beeinträchtigung des Kindeswohls intensiv nach. Egal ob sich Schulen, Kindergärten, Ärzte oder aber "ein besorgter Bürger" meldet, stets besteht aufs Neue die Angst eventuell wieder etwas zu übersehen. Und das schlägt sich auch in Zahlen nieder: Seit 2007 ist die Zahl der sogenannten "Inobhutnahmen" durch das Jugendamt um mehr als 40 Prozent gestiegen, auf über 40.200 Kinder im vergangenen Jahr. Doch es scheint, als würde die Angst etwas zu übersehen auch zu Übereifer führen: Das jedenfalls bemängeln Initiativen und Einrichtungen, die sich ebenfalls dem Kindeswohl verschrieben haben.
"Interne Beschulung" - zwei Stunden entfernt
Manchmal jedenfalls verzweifeln Eltern an den Jugendämtern. Wie Familie B. aus Pinneberg: Sohn Nico ist 13 Jahre alt. Ein schwieriger Junge, er gilt als nicht integrierbar in eine normale Klassengemeinschaft. Deshalb hat er bisher eine Fördereinrichtung besucht. Doch diese musste schließen. Das war vor anderthalb Jahren. Seitdem hat er keine Schule mehr gesehen. Eine Zeitlang erhält er noch Privatunterricht, einige Stunden in der Woche. Dann kommt ein Gutachten zu dem Schluss, dass eine "interne Beschulung" für ihn das Beste wäre, sprich ein Internat.
Das Jugendamt hält es nicht für gewährleistet, dass die Mutter für einen regelmäßigen Schulbesuch ihres Sohnes sorgen kann. Gemeinsam mit dem Amt soll stattdessen eine Einrichtung für Nico gefunden werden. Statt einer gemeinsamen Suche jedoch bekommt Nico kurze Zeit darauf eine Einrichtung zugewiesen - in Flensburg, über zwei Stunden weit von zuhause entfernt.
Sorgerecht entzogen
Alternativen gäbe es nicht, sonst würde der Mutter das Sorgerecht entzogen. Auch, als Nicos Mutter eine näherliegende Einrichtung findet, die allerdings keinen Internatsplatz für Nico garantieren kann, lehnt das Jugendamt ab. Telefonisch ist selten jemand erreichbar, und wenn Nicos Mutter doch durchkommt, wird kaum auf sie eingegangen.
Seit elf Wochen hat sie nun gar kein Sorgerecht mehr für ihren Sohn. Die Schule läuft seit sechs Wochen wieder, aber Nico ist immer noch zuhause, den ganzen Tag. Den Stoff, den er inzwischen durch den fehlenden Schulbesuch verloren hat, wird er kaum mehr aufholen können, und es ist durchaus möglich, dass er demnächst sein Zuhause ganz verlassen muss.