"Jahrhundertgift" PFAS: So verschmutzt ist Norddeutschland
In den vier norddeutschen Bundesländern Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sind nach Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" 175 Orte nachweislich mit Industrie-Chemikalien verunreinigt.
PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, eine Gruppe von mehr als 10.000 künstlich hergestellten Chemikalien. Sie sind wasser-, fett- und schmutzabweisend und werden daher bei der Herstellung vieler Produkte benutzt. So stecken sie in Regenjacken, Pfannen, Zahnseide oder Wärmepumpen. Wenn diese Stoffe zum Beispiel bei ihrer Herstellung oder Entsorgung in die Umwelt gelangen, dann bleiben sie dort. Für sehr lange Zeit - auch in Blut und Gewebe. PFAS werden mitunter verdächtigt, bei Menschen Krebs zu verursachen, unfruchtbar zu machen und das Immunsystem zu schwächen.
Funde in Hamburg, Niedersachsen, SH und MV
Allein in Hamburg wurden die Stoffe an 54 Stellen gemessen: Vor allem in der Elbe gab es erhöhte PFAS-Werte. In Mecklenburg-Vorpommern sind 18 Stellen betroffen, vier davon an Militär-Standorten. Auch an Gewässern fanden Messungen statt, insbesondere wurden Fische auf PFAS untersucht. Alle 14 Fischproben lagen deutlich über dem Wert, den die Wissenschaft als gesundheitlich tolerierbar einstuft. So hatte ein Flussbarsch sogar einen um das 250-fache erhöhten PFAS-Wert.
In Niedersachsen gibt es 45 Orte, an denen PFAS nachgewiesen wurden. In Schleswig-Holstein sind es insgesamt 58 Stellen. Zwölf davon gehen auf den Einsatz von PFAS-haltigem Feuerlöschschaum zurück - so wurden beispielsweise an neun Standorten der Feuerwehr erhöhte Gehalte im Boden festgestellt. An vier dieser Standorte wurde außerdem eine erhöhte Konzentration im Grundwasser nachgewiesen.
Dutzende weitere Orte mutmaßlich verunreinigt
Doch das Ausmaß der Verschmutzung dürfte noch deutlich größer sein. Nach Recherchen von NDR, WDR, SZ sind allein in Norddeutschland Dutzende weitere Orte mutmaßlich verunreinigt. Darunter Industrie-Standorte, Militärgelände, Deponien und Kläranlagen. Hierfür haben sich die Reporterinnen und Reporter an einer wissenschaftlichen Methode eines der renommiertesten Forschungsinstitute für PFAS aus den Vereinigten Staaten orientiert. Demnach stehen bestimmte Orte in Verbindung mit einer erhöhten PFAS-Belastung. Außerdem wurden Presseanfragen an die betroffenen Betreiber geschickt. Einige räumten ein, die Chemikalien in ihrer Produktion zu verwenden, andere wiederum bestritten eine mögliche Belastung.
Deutschlandweit mehr als 1.500 Orte verunreinigt
Deutschlandweit sind mehr als 1.500 Orte nachweislich mit PFAS verunreinigt, mehrere Hundert könnten nach der wissenschaftlichen Methode des US-Instituts noch hinzukommen. In ganz Europa sind es sogar über 17.000 Fälle, die mit den Industrie-Chemikalien verseucht sind.
Für die Recherche hatten die Reporterinnen und Reporter unter anderem Hunderte Presseanfragen gestellt. Außerdem wurden Kleine Anfragen in Landesparlamenten ausgewertet und Daten nach dem Informationsfreiheitsgesetz zusammengetragen. Im Rahmen der internationalen Recherche arbeiteten NDR, WDR und SZ mit 15 europäischen Medienpartnern zusammen. Die Ergebnisse werden europaweit unter dem Namen "Forever Pollution Project" veröffentlicht.