Bericht über Betriebsklima im NDR offenbart Mitarbeiter-Sorgen
Der Berater Stephan Reimers und sein Team haben den "NDR Klimabericht" an den Intendanten des Norddeutschen Rundfunks übergeben. Joachim Knuth hatte ihn 2022 in Auftrag gegeben. Vor allem die Führungskräfte des NDR stehen in der Kritik.
Im vergangenen Jahr hatte es Vorfälle an den NDR Standorten in Kiel und Hamburg und Vorwürfe gegen die dortigen Führungskräfte gegeben. Dabei ging es um die Fragen, ob diese unzulässig in das Programm eingegriffen hätten und ob es einen politischen Filter gebe. Diese Vorwürfe haben unabhängige Untersuchungen inzwischen sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Hamburg entkräftet. Aber auch ein schlechtes Betriebsklima in den Redaktionen wurde daraufhin offen und öffentlich bemängelt. Sogar von einem "Klima der Angst" bei den Beschäftigten war die Rede.
Deshalb holte NDR Intendant Joachim Knuth vor rund sechs Monaten ein unabhängiges Team um den evangelischen Theologen und Manager Stephan Reimers ins Boot, um das Klima in den Abteilungen und Redaktionen zu untersuchen und "uns einen Spiegel vorzuhalten", wie Knuth während einer offiziellen Veranstaltung am Dienstag sagte. Der 99-seitige Bericht liegt nun vor. Er sei sehr ehrlich, so Reimers. Andere Unternehmen und Sendeanstalten könnten daraus Nutzen ziehen.
Kein generelles Klima der Angst, aber ein Klima voller Sorgen
Rund 1.000 Beschäftigte haben laut Reimers daran mitgearbeitet und über Probleme berichtet. Gibt es ein generelles Klima der Angst? Nein, das gebe es nicht, so Reimers, der von 1992 bis 1999 Mitglied des NDR Rundfunkrats war. Aber ein Klima, das viele Ängste und Sorgen der Kolleginnen und Kollegen offenbare - aus unterschiedlichen Gründen. Häufig hätten die Beschäftigten von einem problematischen Führungsstil berichtet. Kollegen seien laut, scharf und verletzend angegriffen worden. Einige Chefs wirkten einschüchternd. Eine Institution wie der NDR, der die Demokratie vertrete, könne so einen Stil nicht gutheißen, sagte Reimers. Der Bericht enthalte einen fünfseitigen Anregungskatalog. Ein verlässliches Management-Feedback sei ein Teil davon. Führungskräfte trügen Personalverantwortung. Daran sollten sie regelmäßig erinnert werden - auch durch Fortbildungen.
Es gebe aber auch "Veränderungsschmerzen" bei den Beschäftigten, weil der NDR in eine digitale Zukunft aufbreche, so Reimers. Man müsse sich auf Neues einlassen. "Das macht auch Schmerzen."
Reimers stellte darüber hinaus aber fest: "Viele Bereiche arbeiten gut zusammen. Viele Mitarbeiter sind zufrieden." Der Wille zur Gestaltung bei den Mitarbeitenden sei groß. "Es ist eine unglaublich hohe Identifikation mit dem NDR festzustellen. Und das ist eine sehr gute Basis, die erarbeiteten Themen nun anzugehen."
"Wir mussten hinter die Geschichten schauen"
Aufgrund der vielen Rückmeldungen der Beschäftigten wurden übergeordnete Rubriken erarbeitet, erklärte der externe Unternehmensberater Uli Cyriax die Struktur des Berichts. "Wir mussten hinter die Geschichten schauen." Entstanden sei ein Bericht, der in sieben Kapitel unterteilt ist: Führungskräfte, freie und befristete Beschäftigungsverhältnisse, Transformationsstrategie, Rahmenbedingungen für Veränderungen, Unterschiede in Bereichen, Kommunikation sowie Personalarbeit. "Am Ende geben wir Lösungsvorschläge und Rahmensetzungen", manche Vorschläge seien sehr konkret, so Cyriax.
Führungsstil aus den 50er-Jahren
Es gebe viele gute Führungskräfte, die einen tollen Job machen. Aber es gebe eben auch Führungsstile, die aus den 50er-Jahren stammen. "Führung ist aber kein Nebenberuf, Führung erfordert Zeit - und die nehmen sich viele Führungskräfte nicht", betonte Cyriax. Viele seien mit der Wucht der derzeitigen Veränderungen schlichtweg überfordert und "verzweifeln an der immensen Bürokratie in diesem Hause".
Es müssten Kompetenzprofile erstellt werden - sowohl für die Führung als auch für die Mitarbeitenden. Das Team der Klimaanalyse plädiere dafür, den Personalbereich entsprechend zu verändern. Außerdem solle mehr Transparenz bei Stellenausschreibungen geschaffen werden, denn immer wieder hätten Beschäftigte den Eindruck, dass ausgeschriebene Stellen bereits an bestimmte Kollegen versprochen worden seien.
Kein Aus für freie Mitarbeiter nach 15 Jahren
Ein großes Thema der Analyse dreht sich um den Umgang mit freien Mitarbeitern und deren Perspektiven. Der Bericht empfiehlt, die 15-Jahres-Grenze für die Beschäftigung freier Mitarbeiter bis zum Jahr 2030 gänzlich auszuschließen. Das gebe vielen Freien Sicherheit - aber auch dem NDR. Denn der Fachkräftemangel werde auch den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk treffen, ist sich Reimers sicher. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelte Strukturen und Arbeitsprozesse werden dem Bericht zufolge als hinderlich wahrgenommen. Insbesondere eine "Zweiklassengesellschaft" von fest angestellten und frei Mitarbeitenden wird beklagt. Das Verhältnis müsse besser werden.
Bericht: Strategische Ausrichtung des Senders nicht erkennbar
Als Mangel werden unklare Leistungserwartungen, aber auch eine zu hohe Arbeitsbelastung genannt. Beschäftigte in der Produktion fühlen sich offenbar abgekoppelt vom Programm, Teile der Verwaltung überlastet. Außerdem sei eine strategische Ausrichtung des Senders nicht erkennbar. Das Vertrauen in die Geschäftsleitung wird als gering beschrieben. Die Mitarbeitenden wünschen sich mehr "echten Dialog" und eine lebendige Konfliktkultur.
Reimers sagte aber auch: "Der NDR lebt." Der NDR trage die Vielfalt der Demokratie im Herzen. Der Bericht zeige auf, "dass viele Mitarbeitende mit Überzeugung und Leidenschaft hinter dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und 'ihrem' NDR stehen und wollen, dass der NDR erfolgreich bleibt und eine Zukunft hat."
Über den Bericht in den Dialog treten
Der von einem externen Rechtsanwalt überprüfte Bericht zeigt, dass es viele Widersprüche gibt. So sei zum einen Veränderung absolut notwendig. Gleichzeitig gebe es "starke Beharrungskräfte". Zudem sei Führung entscheidend, gleichzeitig strebten viele nach Autonomie und Teilhabe. Das Gebot der Stunde sei ein offenes Miteinander. Allerdings schotteten sich viele ab.
Der Bericht ist nicht nur für jeden Beschäftigten, sondern auch für die Öffentlichkeit einsehbar. Am Mittwoch und am Freitag finden weitere Gesprächsrunden für die Belegschaft statt. Die Mitarbeitenden sollten nach der Lektüre idealerweise mit ihren Vorgesetzten in den Dialog treten, sagte Cyriax. "Ab heute geht der Kulturwandel im NDR los."
Intendant Knuth: "Ich habe schon schlucken müssen"
"Ich habe schon schlucken müssen", gestand Intendant Knuth, als er vom Inhalt des Berichts erfuhr. Dass es nicht kritikfrei abgehen werde, sei ihm klar gewesen. Er müsse diese Informationen erst einmal sacken lassen. "Aber darum geht es: zu erkennen, welche blockierenden Muster es gibt, diese zu verstehen und dann zu verändern." Es sei nun ein Bild des Hauses entstanden, das ein Ausgangspunkt sein könne für Verbesserungen. "Zum anstehenden Kulturwandel gehören eine offene Feedback-Kultur und der positive Umgang mit Kritik. Ich bin sicher, das wird Zeit brauchen und die Bereitschaft aller, sich dem zu stellen. Ich jedenfalls tue das." Er sei überzeugt davon, dass ein längerer Prozess bevorstehe, sagte Knuth. "Lasst uns das gemeinsam verdichten." Noch gebe es keine festen Konzepte. "Aber es wird nichts in Schubladen verschwinden", betonte der Intendant.
Es werde noch ein Prozessmanager eingestellt. Außerdem sollen die kritischen Themen in Arbeitskreisen und Kompetenzcentern aufgearbeitet werden.
Direktorin Lütke will "schnell ins Handeln kommen"
Andrea Lütke, stellvertretende Intendantin und Direktorin des Landesfunkhauses Niedersachsen, reagierte positiv auf den Bericht und die Schilderungen des Teams um Reimers und Cyriax: "Der Blick zurück ist total wichtig für den Blick nach vorne." Es gebe viel zu tun, sie hoffe, "nun schnell ins Handeln zu kommen". Es stehe ein Aufarbeitungsprozess an, in dem "wir in Ruhe miteinander reden, nicht übereinander". Für die nun anstehenden Veränderungsprozesse seien vor allem verlässliche und regelmäßige Evaluierungen "absolut notwendig".
Gutes Klima ist das A und O
Der Vorsitzende des Personalrats Hamburg, Thorsten Mann-Raudies, sagte: "Jetzt muss es darum gehen vorauszuschauen." Er glaube auch, dass sich das Klima unbedingt verändern und verbessern müsse. Es sei das A und O. "Wenn sich die Leute wohl fühlen und gern hier arbeiten, dann ist das Endprodukt super."
Stella Peters vom Redaktionsausschuss begrüßte die klare Analyse und die klaren Empfehlungen des Berichts und kündigte an: "Wir werden den Intendanten an seinen Versprechen in Zukunft messen." Der Redaktionssausschuss werde den Prozess kritisch begleiten.
Die Freienräte der Landesfunkhäuser in Hamburg, Niedersachsen und Kiel sowie der Sportzone und weitere frei Mitarbeitende bedankten sich bei Stephan Reimers und seinem Team für ihre umfangreiche Analyse. "Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Bericht zeigt, wie wichtig frei Mitarbeitende für den NDR sind. Aus unserer Sicht sind die Vorschläge in dem Bericht ein Schritt in die richtige Richtung."