"Immo Tommy"-Recherche: Immer mehr Betroffene melden sich
Die Berichterstattung des NDR und vom "Spiegel" über Immobilien-Influencer "Immo Tommy" hat hohe Wellen geschlagen. Der Vorwurf: Abzocke mit Schrottimmobilien. Nun gibt es weitere Reaktionen.
Die Recherchen haben aufgedeckt, dass sich viele Kunden, die über das Netzwerk von "Immo Tommy" Immobilien gekauft haben, getäuscht und betrogen fühlen. Jetzt ist die Frage: Wie geht es weiter? Darüber hat Liane Koßmann auf NDR Info mit Nicolas Lieven gesprochen, der für den NDR seit Monaten an dem Thema recherchiert.
Ich nehme an, das Wochenende war nicht ruhig, oder?
Nicolas Lieven: Nein, ruhig war es wirklich nicht. Wir hatten extra eine Mail-Adresse eingerichtet, unter der sich Betroffene melden konnten und auch noch können. Wir wissen, dass sich viele der verkauften Immobilien in Süddeutschland befinden, aber Kunden gibt es eben bundesweit. Wir hatten ja unter anderem mit Betroffenen aus dem Raum Osnabrück gesprochen. Und ich muss sagen: Ich hatte mit einer solchen Resonanz nicht gerechnet.
Das heißt?
Lieven: Das heißt, es haben sich zahlreiche Menschen gemeldet. Zum Teil haben sie nach eigenen Angaben auch über "Immo Tommy" Immobilien gekauft und unsere Recherchen bestätigt - unter anderem was den teilweise schlechten Zustand der Immobilien angeht, die Finanzierungsverträge, die hohen Zahlungen an Dritte. Es sind auch Namen gefallen, unter anderem von Vermittlern, die wir aus den uns vorliegenden Fällen schon kennen. Aus den Mails an den NDR ist allerdings auch herauszulesen, dass einige Betroffene bis zu unserer Berichterstattung noch gar nicht wussten, was sie da unterzeichnet haben.
Und was können Betroffene jetzt tun?
Lieven: Wir haben die Verträge unter anderem von einem Anwalt und einem Immobilienexperten der Verbraucherzentrale Hamburg prüfen lassen. Eine Aussage war, dass man gute Chancen sieht, aus den Verträgen rauszukommen. Vor allem wegen der Zahlungen. Bis zu rund einem Drittel des Kaufpreises floss ja an Dritte oder "Immo Tommy" direkt. Das könnten versteckte Provisionen sein, sagte der Jurist. Und dann könnte es sich um eine arglistige Täuschung handeln. Auch Sittenwidrigkeit oder Wucher könnten Themen sein. Möglicherweise ist es sinnvoll, dass sich Betroffene zusammenschließen. Auch die Frage nach Kontakten hat uns mehrfach erreicht. Wir sind da natürlich weiter dran, aber das wird dauern. Zumal es nicht nur um "Immo Tommy" geht, sondern einige Zuschriften auch andere Immobilien-Vermittler mit angeblich ähnlichen Geschäftsmodellen betreffen.
Gab es eigentlich am Wochenende noch Reaktionen von "Immo Tommy" oder von den beteiligten Finanzinstituten?
Lieven: Wir hatten ja vor der Veröffentlichung jeweils eine Reihe von Fragen verschickt und um Antworten gebeten. Auch ein Interview wäre möglich gewesen. Die Volksbank Konstanz verwies auf das Bankgeheimnis und den Datenschutz. Die Bausparkasse Schwäbisch Hall wollte sich zu konkreten Fällen nicht äußern. Und "Immo Tommy" ließ über eine Anwältin mitteilen, man brauche mehr Zeit. Die hatten wir eingeräumt. Danach hieß es aber, eine seriöse und angemessene Beantwortung der Fragen sei zum aktuellen Zeitpunkt nicht möglich. Das ist auch noch der Stand. Sprich: Über das Wochenende gab es keine weiteren Reaktionen von den Instituten oder "Immo Tommy". Allerdings: In den sozialen Netzwerken Instagram, TikTok, Youtube und Co. hatten User doch einiges zum Thema geschrieben.
Und wie fielen die Kommentare aus?
Lieven: Es gab viel Kritik am Geschäftsmodell. Es wurden Stellungnahmen eingefordert, auch von "Immo Tommy". Allerdings wurden auch die Käufer kritisiert. Nach dem Motto, wer von einem TikToker und ohne Besichtigung eine Immobilie kaufe, sei selbst schuld. Ich kann nur sagen: Die Betroffenen machen sich selbst die größten Vorwürfe. Ich würde heute sagen, ja, das war blauäugig, auch ein Stück weit naiv. Aber ich würde die Frage der Schuld lieber da lassen, wo sie nach unseren Recherchen hingehört.
Und dennoch wurde ja über "Immo Tommy" gekauft?
Lieven: Ja, man muss aber nochmal betonen: "Immo Tommy" selbst war nach unseren Recherchen nicht der direkte Gesprächspartner und Vermittler. Die Menschen, die dort angerufen haben, landeten in der Regel bei einem Vertriebler, einem Verkaufsprofi. Und dann griff eben das Netzwerk: Vermittler, Hausverwaltung, Notar. Und gerade die Finanzierung schaffte bei Vielen Vertrauen. Denn die Gespräche fanden oftmals in den Räumen der Volksbank Konstanz statt. Mit einem Berater der Schwäbisch Hall. Das ist die Bausparkasse Nummer eins in Deutschland.
Ein Hörer hat uns gemailt, er habe das auch alles miterlebt, sei aber gerade noch rechtzeitig abgesprungen. Er könne aber durchaus verstehen, warum die Leute unterzeichnet haben. Und das muss man nochmal betonen: Das ist nach unseren Recherchen eben nicht nur denen passiert, die sich mit Finanzen noch nicht befasst hatten. Sondern unter den Betroffenen sind auch eine ehemalige Bank-Mitarbeiterin und ein Anlageberater. Auch die haben gekauft und die Finanzierungsverträge unterzeichnet.
Was ist an den Finanzierungen so schlecht und warum haben die Banken und die Schwäbisch Hall da mitgemacht?
Lieven: Also den zweiten Punkt kann ich mir eigentlich gar nicht erklären. Die einzige Begründung, die sich aus den Recherchen ergibt, lautet: Hier fließen hohe Provisionen an den Vermittler. Und die Bausparkasse und die Bank verdienen vermutlich auch mit.
Und warum sind die Finanzierungen so schlecht?
Lieven: Laut den Verträgen, die uns vorliegen, ist die Finanzierung in der Regel eine Kombination aus Kredit- und Bausparvertrag. Dazu muss man wissen: Beim Bausparvertrag spart man einen Teil an - in unseren Fällen meist 40 Prozent der Summe. Wenn die erreicht sind, üblich sind so acht bis zehn Jahre, bekommt man die restlichen 60 Prozent von der Bank geliehen. Der Vorteil ist, der Zinssatz steht bei Abschluss fest. Der Nachteil ist, man bekommt für sein Erspartes praktisch keine Zinsen über all die Jahre. Auch deshalb halten Verbraucherschützer nicht viel von dem Modell, aber das gibt es.
Nur in unseren Fällen dauert diese Spar-Phase nicht acht bis zehn, sondern bis zu 27 Jahre. Das heißt: Im Schnitt liegen da zehntausende Euro drin und über die komplette Strecke gibt es praktisch null Zinsen. Bis zu 27 Jahre lang. Und am Ende entscheidet die Bank, ob man den Kredit überhaupt bekommt, sprich, ob man kreditwürdig ist.
Heißt: Das kann alles auf den letzten Metern noch platzen?
Lieven: Genau. Und dazu kommt, dass bei den Modellen, die uns vorliegen, von der Kreditsumme überhaupt nichts getilgt wird, bis der Bausparvertrag alles ablösen soll. Heißt: Die Betroffenen zahlen über Jahrzehnte teils Hunderttausende Euro an Zinsen - der Schuldenberg wird aber nicht kleiner. Dann ist der Zinssatz für den Kredit recht hoch, der kann sich über die Jahre sogar nochmal erhöhen. Also unterm Strich ist das teuer und riskant.
Wie geht es jetzt weiter?
Lieven: Wir werden weiter recherchieren in den Fällen, die uns vorliegen und in denen, die neu dazu kommen. Zudem gibt es viele offene Fragen: von der Rechtslage, über den Verbraucherschutz bis hin zur Politik. Finanzinfluencer haben ja Hochkonjunktur, nicht nur mit Immobilien, sondern auch mit Aktien, Kryptowährungen und allerlei angeblich krisensicheren Sachwerten. Da muss man schon die Frage nach der Verantwortung stellen. Und dann ist ja nicht auszuschließen, dass sich die Banken, die Schwäbisch Hall oder "Immo Tommy" doch noch melden.
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