Totes Flüchtlingsbaby: Viele Fragen, kaum Antworten
Die kleine Rana kam erst im Oktober 2015 mit zwei Geschwistern und ihren Eltern von Syrien nach Hamburg. Anfang Februar ist das zehnmonatige Baby im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) gestorben. Zu ihrer Beerdigung kommen viele Menschen und versuchen, die Familie zu trösten. Doch die Eltern können es nicht fassen - sie sind überzeugt, der Tod ihres Kindes wäre vermeidbar gewesen.
Zusammen mit mehr als 1.000 anderen Flüchtlingen lebte die Familie seit drei Monaten in der Zentralen Erstaufnahme Rugenbarg, einem ehemaligen Baumarkt in Hamburg-Osdorf. Dort erkrankte die kleine Rana Ende Januar an Durchfall und Erbrechen. Die Eltern geben an, sie hätten mit ihrem Kind zwei Mal innerhalb von drei Tagen die ärztliche Sprechstunde in der Unterkunft aufgesucht. Die Ärzte dort hätten jedoch auch beim zweiten Termin eine Überweisung ins Krankenhaus abgelehnt und ihnen stattdessen fiebersenkende Mittel ausgehändigt. Der medizinische Dienst in der Zentralen Erstaufnahme Rugenbarg wird vom Universitätsklinikum Eppendorf betrieben.
Familie war seit Oktober 2015 krankenversichert
"Ich habe die Ärztin gebeten, mir eine Überweisung fürs Krankenhaus zu schreiben, aber sie hat gesagt, nein, das würde sie mir nicht empfehlen, weil wir dort auch wieder drei, vier Stunden warten würden und sie würden dort auch nur sagen, dass sie eine Virusinfektion hat", erzählt Ibraheem A., der Vater von Rana. Er habe nicht gewusst, dass er auch ohne Überweisung mit seiner Tochter ins Krankenhaus hätte gehen können.
Die Familie wusste ebenfalls nicht, dass sie gar nicht auf den medizinischen Dienst in der Erstaufnahme angewiesen war. Denn nach Information von Panorama 3 war sie bereits seit dem 24. Oktober 2015 bei der AOK Bremen registriert. Sie war also krankenversichert, hätte auch Ärzte jenseits der Zentralen Erstaufnahme selbstständig aufsuchen können. Doch eine eigene Gesundheitskarte besaß sie nicht.
Ein Problem, das viele Flüchtlinge trifft und schon lange bekannt ist, beklagt Dirk Hauer vom Diakonischen Werk: "Wir haben im Februar 2014 erstmals gegenüber der Behörde signalisiert, dass in unseren Beratungsstellen Menschen auftauchen, die Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch nehmen können, weil sie Flüchtlinge im Verfahren sind, die aber keine nachweisbare Karte oder Bescheinigung haben, mit denen sie zum Arzt gehen können.“ Zwar soll es Übergangsbescheinigungen geben und auch ein System, nachdem die Flüchtlinge einfach so zum Arzt gehen können, doch die Ärzte seien häufig unsicher, ob und wie sie ihre Leistung abrechnen können, so Hauer. Und auch die Flüchtlinge seien über ihre medizinische Versorgung oft nicht ausreichend informiert.
Rana stirbt nach einer Woche im Krankenhaus
Erst als es Rana in der Nacht nach dem zweiten Arztbesuch noch einmal schlechter geht, können die Eltern Sanitäter in der Unterkunft überzeugen, das Kind ins Altonaer Kinderkrankenhaus zu fahren. Dort sagt ihnen ein Arzt, so der Vater, die Situation ihres Kindes sei kritisch. Rana wird ins Universitätsklinikum Eppendorf, UKE, verlegt. Dort scheint es ihr nach einer Woche zunächst besser zu gehen. Doch dann stirbt sie, völlig überraschend für die Eltern. Warum, das kann der Arzt dem Vater nicht sagen.
Die Staatsanwaltschaft leitet ein Todesermittlungsverfahren ein. Wann ihr Kind obduziert wird, teilen der Familie weder der Staatsanwalt noch das UKE mit. Erst als sie um einen Termin in der Rechtsmedizin bitten, erfahren sie, dass die Obduktion längst abgeschlossen ist. Multiples Organversagen lautet die offizielle Todesursache. Doch auch der Leiter der Rechtsmedizin im UKE, Professor Klaus Püschel, kann Ibraheem A. angeblich nicht genau sagen, warum seine Tochter sterben musste: "Er hat mir im Grunde keine Antworten gegeben, sondern er sagte mir, er weiß immer noch gar nichts. Und er sagte mir, ich müsste mindestens drei Monate warten, bis ich Antworten auf meine Fragen bekomme“, so der verzweifelte Vater.
Gesundheitsbehörde sieht keine Lücken
Drei Monate - eine Ewigkeit für einen Vater, der wissen will, warum seine Tochter starb. Wir versuchen, mehr Informationen zu bekommen. Fragen im UKE nach, beim Deutschen Roten Kreuz, dem Betreiber der Erstaufnahme Rugenbarg, und bei der zuständigen Gesundheitsbehörde. Warum wurde die kleine Rana nicht früher ins Krankenhaus eingewiesen? Hätte man mehr für sie tun können, wäre sie früher ins Krankenhaus gekommen? Und warum wusste die Familie nichts von ihrer Krankenversicherung? Auf all diese Fragen bekommen wir keine Antwort. Nur so viel von der Gesundheitsbehörde: Sie sehe keine Lücken bei der gesundheitlichen Versorgung in der Erstaufnahme.
Die Pressesprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft Nana Frombach teilte gegenüber Panorama 3 mit, der Staatsanwaltschaft liege der Obduktionsbericht bislang nicht vor. Man habe die Untersuchung weiterer Gewebeproben beauftragt, wohl um mehr über den Krankheitsverlauf und die Todesursache zu erfahren. Bis die Untersuchungen abgeschlossen sind, werden Ranas Eltern weiter auf Antworten warten müssen.