Eine junge Wohnungslose schaut nachdenklich. © Offroadkids Foto: Mario Hausmann

Sofahopper: Online-Plattform hilft jungen Wohnungslosen

Stand: 16.12.2020 15:45 Uhr

Viele junge Wohnungslose kommen über lange Zeiträume bei Freundinnen, Freunden und Bekannten unter. Die Initiative Sofahopper hilft Betroffenen mit einem Online-Portal.

von Astrid Wulf

In der Vorweihnachtszeit machen es sich viele zu Hause richtig gemütlich. Fenster und Balkone sind mit leuchtenden Sternen dekoriert, die dritte Kerze brennt im Adventskranz. Es gibt allerdings auch diejenigen im Norden, die kein Zuhause haben, die wohnungslos sind. Nicht alle sind draußen, etwa in Fußgängerzonen, unterwegs, oder kommen in Obdachlosenheimen unter. Viele Betroffene schlafen stattdessen mal hier, mal dort. Sie werden "Sofahopper" genannt. Diese verdeckte Wohnungslosigkeit kann ebenso belastend sein. Eine bundesweit agierende Initiative will jungen Sofahoppern mit einem Online-Portal helfen.

Sofahopper sind keine Obdachlosen

Die 22-jährige Lena ist vor acht Monaten wegen eines Streits zu Hause rausgeflogen. Seitdem ist sie in Hamburg wohnungslos. Die junge Frau wirkt gepflegt, ernst und strahlt Ruhe aus. Manchmal wird sie auf der Straße von Bedürftigen nach Kleingeld gefragt. Dann erklärt sie, dass sie selber nichts hat. Weder Geld noch eine Wohnung: "Viele gucken mich verwundert an, von vielen kam auch der Satz: Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich glaube, ich sehe nicht so typisch aus, wie man sich eine Wohnungslose vorstellt."

Ohne Wohnung oder ohne Obdach?

Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit sind keine Synonyme. Als wohnungslos gelten Menschen, die keinen Mietvertrag besitzen und in eine öffentliche Unterkunft oder in ein Heim der Wohnungslosenhilfe eingewiesen werden. Dazu zählen ebenfalls Menschen, die in niederschwelligen Herbergen leben. Udo Lindenberg im Hotel Atlantik ist demzufolge nicht von Wohnungslosigkeit betroffen. Obdachlos sind lediglich diejenigen Menschen, die auf der Straße oder in Notunterkünften leben.

Temporäre Bleibe als Dauerzustand

Die junge Frau hatte ihren Ausbildungsplatz verloren. Nach dem Rausschmiss bei ihren Eltern ist sie in den letzten Monaten bei Freundinnen und Freunden untergekommen. Das funktioniert vorübergehend, wird aber irgendwann unangenehm, sagt Lena. Sie fühle sich wie eine Last, weil sie mittellos sei und selber nichts beisteuern könne. Eine der letzten Stationen war der Bruder ihres Freundes. Als sie sich mit ihm wegen einer Nichtigkeit gestritten hat, schmiss er sie raus: "Als mir klar wurde, dass ich aus der Wohnung raus soll, und ich nicht wusste, wo ich hin muss oder kann, ohne Geld, ohne Wohnung, dachte ich, dass ich mir Hilfe holen muss."

Kontakt über YouTube und Social Media

Sie googelt und stößt auf Sofahopper.de, die Internetseite der Initiative Off Road Kids. Die Stiftung hat Anlaufstellen in Hamburg, Berlin, Köln und anderen deutschen Städten. Sie will jungen Menschen aus der Wohnungslosigkeit helfen - unter anderem verdeckt Wohnungslosen wie Lena. In einem YouTube-Film der Organisation heißt es: "Vermutlich gehst du nicht mehr zur Schule oder zur Ausbildung. Auch zu deiner Familie ist der Kontakt abgebrochen. Ganz zu schweigen vom Jugendamt oder dem Jobcenter. Und jetzt wird’s auch noch richtig eng. Denn deine Gastgeber werden nervös. Sie wollen, dass du ausziehst."

Chat bietet Kontrolle und Anonymität

Benthe Müller-Nickel Leiterin der Offroadkids-Station in Hamburg spricht mit jungen Wohnungslosen auf der Straße. © Offroadkids Foto: Mario Hausmann
Benthe Müller-Nickel, Leiterin der Station von Off Road Kids in Hamburg, spricht mit jungen Wohnungslosen auf der Straße.

Auf der Internetseite helfen Erklär-Videos bei Themen, die viele junge Wohnungslose völlig überfordern: Was mache ich, wenn ich meinen Job oder den Ausbildungsplatz verloren habe? Habe ich Anspruch auf Kindergeld? Wo kann ich unterkommen, wenn ich keinen Schlafplatz habe? Dazu können die Streetworker auch direkt im Chat oder per Mail angeschrieben werden. Benthe Müller-Nickel leitet die Hamburger Station der Off Road Kids. Ihre Arbeit findet schon lange nicht mehr nur auf der Straße statt. Gerade für die verdeckten Wohnungslosen ist es wichtig, dass die, die ihnen helfen wollen, auch online erreichbar sind: "Es ist leichter, eine Mail zu schreiben, oder etwas zu googeln. In einem Chat auch zu bestimmen, was man möchte und wann man raus gehen will. Und es ist natürlich auch anonymer."

Wohnungslosigkeit: Besonders für Frauen gefährlich

Eine junge Wohnungslose halt ein Schild in der Hand mit der Aufschrift: Weiß nicht wohin heute. © Offroadkids Foto: Mario Hausmann
Für junge Frauen kann Wohnungslosigkeit schnell in persönlichen Abhängigkeiten oder Gewalt enden.

Wie viele junge Menschen verdeckt wohnungslos sind, weiß niemand - laut Benthe Müller-Nickel sprechen die steigenden Aufrufe der Internetseite sofahopper.de für sich. Manche Betroffene meldeten sich erst nach Jahren. Oft steckt Scham dahinter. Wie auch Lena denken viele, sie müssten es allein schaffen, sich aus der verdeckten Wohnungslosigkeit zu befreien. Mal hier, mal da zu wohnen ist in Zeiten der Pandemie ein echtes Gesundheitsrisiko. Und auch gerade für Frauen kann Sofahopping regelrecht gefährlich werden: "Als junge Frau kommt man sicher leichter irgendwo unter, aber es hat leider häufig auch einen Preis, den man durch Gefälligkeiten oder auf sexuelle Art zahlen muss. Da gibt es leider nichts, was es nicht gibt."

Hilfe zur Selbsthilfe für Wohnungslose

Eine Woche nachdem sich Lena per Mail an die Off Road Kids gewandt hat, ist mit ihrer Hilfe der Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt. Momentan schläft Lena noch bei einer Freundin. Sobald der Antrag durch ist, will sie sich um eine eigene Wohnung kümmern, auch ein WG-Zimmer würde ihr reichen: "Ich bin ein Mensch, der eher pessimistisch ist. Aber ich bin guter Dinge, dass das jetzt alles hier klappt."

Weitere Informationen
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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 17.12.2020 | 08:00 Uhr

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Soziales Engagement

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