Kommentar: Wir müssen wieder miteinander reden
Die Hamburger S-Bahn fährt nach Notfahrplan und viele Fern- und Güterzüge fallen aus. Noch bis Montag dauert der Streik bei der Deutschen Bahn. Trotzdem gibt es im Tarifkonflikt bisher kaum Bewegung. Unternehmen und Gewerkschaft geben in Krisenzeiten ein schlechtes Beispiel ab, meint Oliver Wutke in seinem Kommentar.
Für viele von uns hat diese Woche anders ausgesehen als wir uns das vorgestellt hatten. Der Weg zur Arbeit oder zur Schule, die Lieferung für die Firma, die Reise in eine andere Stadt - all das musste plötzlich neu gedacht werden, als feststand: Bei der Bahn wird mal wieder gestreikt.
In Hamburg sind wir bisher vergleichsweise gut durchgekommen. Es gibt viele Alternativen zu Bahn und S-Bahn. Und selbst dort konnte ein Notfahrplan den totalen Stillstand verhindern. Trotzdem: Die Streiks der Lokführergewerkschaft GDL greifen in das Alltagsleben von Millionen Menschen ein, die auf die Bahn angewiesen sind. Viele von ihnen sind von diesem inzwischen vierten Streik einfach nur genervt.
Widersacher wollen eigene Position um jeden Preis durchboxen
Warum können die sich nicht einigen? Liegt es an einer streikfreudigen Gewerkschaft mit überzogenen Forderungen? Oder an einem bockigen Bahnvorstand, der einfach kein überzeugendes Angebot macht? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Aber ich habe eine sehr klare Meinung zu der Art und Weise, wie dieser Tarifstreit ausgetragen wird. Denn er folgt einem Muster, das wir inzwischen leider viel zu oft erleben. Da wird versucht, die eigene Position mit allen Mitteln durchzuboxen oder die Gegenseite zu blockieren - und das ohne viel Rücksicht auf den Schaden Unbeteiligter oder auf die Allgemeinheit. Da wird gerungen, als gäbe es nur Alles oder Nichts. Und schon die Sprache der Beteiligten lässt wenig Raum für Kompromisse erkennen - bis hin zu persönlichen Schmähungen. Im Fall des Bahn-Konflikts hätten wir da die Auswahl zwischen einem profilierungssüchtigen Gewerkschaftsboss und einem überbezahlten, arroganten Bahnvorstand.
Höchste Zeit für den Verhandlungstisch
Kennen wir dieses Muster nicht auch von einigen anderen Streitthemen? Ich finde: Unsere Demokratie lebt vom Kompromiss, vom Abwägen und Aushandeln verschiedener Interessen. Darüber müssen wir reden. Miteinander. Deshalb ist dieser Tarifstreit für mich nicht nur eine Frage von Geld oder Arbeitszeiten. Es geht auch darum, ob wir in krisenhaften Zeiten noch gemeinsame Lösungen finden - im Sinne möglichst vieler. Das Bundesunternehmen Bahn und die freiheitsliebende Gewerkschaft GDL sollten da ein Beispiel geben. Miteinander gesprochen haben sie seit zwei Monaten nicht mehr. Es wird höchste Zeit für den Verhandlungstisch.