Kommentar: Das Ohnsorg Theater am Scheideweg
Im Ohnsorg Theater hängt der Haussegen schief. In der niederdeutschen Traditionsbühne gibt es einen heftigen Richtungsstreit darüber, wie viel Plattdeutsch das Theater braucht. Und der eskaliert jetzt öffentlich. Mittendrin Intendant Michael Lang und die neue Aufsichtsratschefin Sandra Keck. Wohin geht das Ohnsorg? Daniel Kaiser kommentiert.
Wann waren Sie zuletzt im Ohnsorg? Wenn ich das gestandene Hamburgerinnen und Hamburger frage, gehen meist nur wenige Finger hoch. Warum? "Zu trutschig. Und dann die Sprache!" Das machen sich die Platt-Puristen, die Gralshüter, die jetzt mit Leidenschaft und heiligem Zorn für das plattdeutsche Erbe kämpfen, vielleicht nicht immer drastisch genug klar: Wie hoch die Schwellenangst für viele Menschen ist, ins Ohnsorg zu gehen.
Ohnsorg darf nicht in plattdeutscher Schönheit sterben
Deshalb meine ich: Der Kurs von Intendant Michel Lang ist richtig. Um neue Zuschauerinnen und Zuschauer zu gewinnen, muss man auch Brücken bauen. Denn wenn es immer weniger Plattsnacker gibt, wer sitzt dann morgen, übermorgen oder in 10, 20 Jahren noch im Theater? Das Ohnsorg darf nicht in plattdeutscher Schönheit sterben. Dafür ist es zu wichtig.
Soll alles so bleiben wie es ist?
Vielleicht fühlen sich manche in der Ohnsorg-Belegschaft bei dem neuen Kurs nicht mitgenommen. Mag sein, dass nicht gut kommuniziert wurde. Vielleicht ist es aber auch so, dass manche gar nicht mitgenommen werden wollen. In allen Traditionsbetrieben, in denen Menschen lange arbeiten, hört man immer wieder: "Alles soll so bleiben wie es ist." Und: "Früher war alles besser." Diese Phrasen sind schlechte Ratgeber. Sie kennen ja vielleicht diesen anderen Spruch: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.
Putsch stürzt das Theater ins Chaos
Sandra Keck, die Speerspitze der Modernisierungskritikerinnen und -kritiker, ist jetzt wirklich keine "Tratsch im Treppenhaus"-Fundamentalistin. Bei ihren Ohnsorg-Abenden "Rock op Platt" wackelten die Wände. Und der Streit zeigt, wie viel Idealismus und Kraft in ihr steckt. Schade nur, dass es nicht möglich war, sich anders als mit diesem Putsch Gehör zu verschaffen. Dieses Vorgehen stürzt das Theater ins Chaos. Das ist ein echtes Trauerspiel. Ich fürchte, dieser Streit macht viel kaputt. Leider erstmal ohne erkennbare Aussicht auf einen Plan B.
Das Ohnsorg ist ein echter Schatz
Und das ist das Schlimme: Der Zwist verdrängt, was für ein großartiges Haus das Ohnsorg ist. Ein echter Schatz. Von manchen als skurriler Exot am Rande der Kulturlandschaft belächelt, ist das Ohnsorg das vielleicht meist unterschätzte Theater der Stadt. Das ist keine Sprachaufbewahr-Anstalt, kein Platt-Museum, in dem man sich an einer Heidi-Kabel-Nostalgie labt, sondern ein lebendiges, pralles Volkstheater mit Themen von heute. Mit starken Stücken, die immer wieder zeigen, was das heißt, norddeutsch zu sein, Hamburgerin und Hamburger.
Ohnsorg muss ein plattdeutscher Leuchtturm bleiben
Ich nehme immer wieder Freunde mit ins Ohnsorg, die noch nie da waren. Manche wohnen nur ein paar Straßen weiter. Dann sagen sie: "Ach, so ist das hier? Das ist gar nicht in Schwarzweiß. Und da läuft gar nicht Heidi Kabel durchs Bild." Die sind begeistert. Alle. Und so ist es: Man verpasst etwas, wenn man nicht hingeht. Das Ohnsorg Theater steht am Scheideweg. Natürlich muss es ein plattdeutscher Leuchtturm bleiben. Ein Haus, das wirbt für die Lebendigkeit und betört mit der Schönheit einer Sprache, die es immer schwerer hat. Aber auch mit einem Herz für die, die mit dem Plattdeutschen fremdeln.