Hamburg im Fokus: Wie Kokain-Banden deutsche Häfen infiltrieren
Die Rolle des Hamburger Hafens im globalen Kokainschmuggel wächst. Diese Vermutung legen zumindest die Ermittlungsstatistik von Zoll und Polizei nahe. Demnach haben deutsche Sicherheitsbehörden im laufenden Jahr bereits mehr als 35 Tonnen Kokain sichergestellt, das meiste davon im Hamburger Hafen.
Nach Informationen des NDR wird die tatsächliche Menge sogar bei deutlich über 40 Tonnen liegen, da bisher noch nicht alle Kokainfunde statistisch erfasst sind. Noch vor wenigen Jahren wären solche sichergestellten Mengen in Deutschland undenkbar gewesen. Doch offenbar kaufen kriminelle Banden immer mehr Kokain in Lateinamerika ein, um die Droge anschließend hier mit satten Gewinnen zu verkaufen.
Offenbar gelangt immer mehr Kokain nach Europa
Die Entwicklung bereitet Fahndern Sorgen. Denn Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass die immer neuen Rekordfunde Beleg dafür sind, dass insgesamt mehr Kokain nach Europa gelangt. Als Faustformel unter Zöllnern gilt, dass für ein gefundenes Kilogramm Kokain neun weitere Kilo unentdeckt auf den europäischen Schwarzmarkt gelangen.
Die Gewinne im Kokainhandel sind exorbitant und füllen die Kassen der Organisierten Kriminalität. In einigen europäischen Städten, wie Rotterdam oder Antwerpen, werden Streitigkeiten zwischen Kokainbanden äußerst brutal ausgetragen, immer wieder kommt es zu Todesopfern. Auch in Hamburg hat es im vergangenen Jahr eine Reihe von Schießereien gegeben, die im Zusammenhang mit Drogenbanden stehen sollen.
Hamburger Hafen für Kriminelle attraktiver geworden
Ranghohe Rauschgiftfahnder sind besorgt, dass sich in den massiv angestiegenen Sicherstellungsmengen in Deutschland eine Trendverschiedbung auf dem internationalen Drogenmarkt zeigt: "Man muss unterstellen, dass der Hamburger Hafen an Attraktivität zugenommen hat. Weil eben in Rotterdam und Antwerpen stärkere Sicherheitsmaßnahmen von den Kollegen vom Zoll und von der Polizei vollzogen werden und umgesetzt werden", sagt Christian Hoppe vom Bundeskriminalamt. Hoppe leitet dort die Rauschgiftbekämpfung.
Problematisch sei, dass die Organisierte Rauschgiftkriminalität mittlerweile auch die deutschen Nordseehäfen gezielt infiltriere. Immer wieder würden Menschen, die in Hamburg oder Bremerhaven in der Hafenlogistik arbeiten, von Kriminellen angesprochen. "Man versucht auch gezielt rauszufinden, ob bei den Menschen finanzielle Notlagen bestehen, um Leute dann dafür zu gewinnen, das Kokain aus den Häfen zu bergen", sagt Tino Igelmann, der das Zollkriminalamt leitet.
Organisierte Kriminalität lockt mit viel Geld
Nach NDR Informationen bezahlen kriminelle Gruppen in Hamburg selbst für einfachste Dienste, wie etwa das Umsetzen eines Containers, mehrere 10.000 Euro.
Der Hamburger Strafverteidiger Robert Kain kennt die Problematik. Er vertritt eine 36-jährige Frau, die lange Zeit im Hamburger Hafen als Sachbearbeiterin gearbeitet hat. Im Sommer 2020 ließ sie sich darauf ein, einer Kollegin und Freundin dabei zu helfen, einen Container unbemerkt aus dem Hafen zu schaffen. "Sie hat Nachrichten an einen Mann geschickt, welche Formulare ausgefüllt werden müssen, an welchen Terminals der Lkw-Fahrer den Container abholen muss“, berichtet Kain.
Die Frau ahnt zwar, dass es dabei um etwas Illegales geht, vielleicht sogar um Kokain. Was sie nicht weiß: In dem fraglichen Container befindet sich mehr als eine Tonne Kokain - Drogen im Wert von über 30 Millionen Euro. Ihr Auftraggeber ist eine der zentralen Größen im Hamburger Rauschgiftmilieu. Obwohl der Versuch, den Container aus dem Hafen zu schaffen scheitert, erhält die Frau 20.000 Euro. Inzwischen ist sie rechtskräftig verurteilt - zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren.
So sollen die Häfen sicherer werden
Gemeinsam mit der Polizei und der Hafenwirtschaft arbeitet der Zoll nun an einem Programm, um die deutschen Nordseehäfen sicherer zu machen. Dabei sollen Menschen, die in der Hafenlogistik arbeiten, für die Gefahren der Organisierten Kriminalität sensibilisiert werden. Gleichzeitig will man "Innentäter" besser identifizieren und aus dem Verkehr ziehen.
Erst in der vergangenen Woche konnte die Hamburger Zollfahndung fünf Beschuldigte in einem Kokainverfahren festnehmen. Dabei wurden nicht nur Luxusautos sondern auch fünf scharfe Waffen sichergestellt. Nach NDR Informationen konnten im Rahmen der Ermittlungen inzwischen zwei weitere Täter festgenommen werden. Auch in diesem Verfahren soll ein Mitarbeiter des Hamburger Hafens der Bande geholfen haben.
Die massiven Sicherstellungen 2023 gehen nach NDR Informationen insbesondere auf ein Ermittlungsverfahren der Zollfahndung Stuttgart zurück. Im Rahmen des Verfahrens wurden Dutzende Tonnen Kokain in Hamburg, aber auch in anderen Städten sowie im europäischen Ausland sichergestellt.