Hamburg: Polizeigewalt gegen Jugendliche?
Polizisten, die nicht wollen, dass man sie filmt, berufen sich häufig auf einen Paragrafen, der eigentlich die Vertraulichkeit von Privatgesprächen schützen soll. Juristen halten das für fragwürdig.
Der Hamburger Asad ist erst 15, aber er hat Angst vor der Polizei, weil er eine dunkle Hautfarbe hat: "Manchmal traue ich mich nicht mal mehr vor die Tür. So groß ist meine Angst vor der Polizei. Ich hatte noch nie eine gute Erfahrung mit der Polizei in meinem Leben. Noch nie", berichtet der 15-Jährige in Panorama.
Diese Einstellung machte er bei einer Kundgebung zu "Black lives still matter" am 10. April 2021 im Hamburger Stadtteil St. Pauli deutlich, die er zusammen mit seinem Bruder Musa (16) besuchte. Auf der Kundgebung trug Asad ein T-Shirt mit der Aufschrift: "ACAB - All Cops Are Bastards" ("Alle Polizisten sind Bastarde").
"Ich habe mich dann zu den Polizisten umgedreht und auf mein T-Shirt gezeigt", so Asad. Offenbar hatte er die Polizisten damit derart provoziert, dass sie kurze Zeit später die Brüder auf dem Nachhauseweg stoppten, mitten auf der Reeperbahn. Ein Dutzend Polizisten in Kampfmontur kreisten die Jungs ein.
Polizisten verhindern Filmaufnahme
Musa fühlte sich bedroht und wollte deshalb den Einsatz filmen. Doch die Polizisten nahmen ihm das Handy mit Gewalt ab. All das ist dokumentiert, weil Passanten schließlich auch ihr Handy zückten und filmten. Die Polizei Hamburg rechtfertigt die gewaltvolle Handywegnahme auf Anfrage von Panorama:
"Diese Videoaufnahme wurde Musa F. mit Hinweis auf Paragraf 201 StGB (...) untersagt. Da Musa F. das Telefon aber trotz mehrfacher Aufforderung nicht weglegen wollte, wurde er durch einen eingesetzten Polizeibeamten unter Anwendung einfacher körperlicher Gewalt von hinten umklammert, um an das Mobiltelefon zu gelangen." Pressestelle der Hamburger Polizei
Schließlich wird der 15-jährige Asad wegen der Aufschrift auf seinem T-Shirt mit zur Davidwache genommen und dort erkennungsdienstlich behandelt, sogar bis auf die Unterhose ausgezogen. Ohne die Mutter zu informieren, wie sie - entgegen späterer Aussagen der Polizei - behauptet. Die gespeicherten telefonischen Verbindungsdaten stützen ihre Aussage. Am Abend nach dem Vorfall wird der ältere Bruder, der 16-jährige Musa ins Kinder-UKE gebracht. Dort wurde ein "stumpfes Bauchtrauma" festgestellt. Die Verletzungen müsse Musa sich beim Skaten zugezogen haben, so die Polizei. Musa verneint das.
Fragwürdige Berufung auf Abhörparagrafen
Doch war das Filmen des Einsatzes wirklich illegal? Und gibt es nicht sogar gute Gründe für solche Aufnahmen? Die weltweite Diskussion über rassistische Polizeigewalt seit dem Tod von George Floyd wäre ohne die Existenz des Videos seiner Tötung jedenfalls kaum denkbar. Auch in Deutschland waren solche Videos entscheidend für die bisherige Debatte.
Wenig bekannt aber ist, dass die Polizei nach Panorama-Recherchen immer wieder mit einer zweifelhaften Begründung versucht, solche Aufnahmen zu verhindern. Sie argumentiert, auch im Fall von Musa, häufig mit dem Paragraf 201 des Strafgesetzbuches (StGB), der unbefugte Aufnahmen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes untersagt.
Führende Juristen kritisieren die Anwendung des §201 in solchen Fällen. "Grundsätzlich ist das dienstlich gesprochene Wort eines Polizisten gegenüber einem Bürger ein öffentlich gesprochenes Wort und ist damit nicht erfasst von der entsprechenden Strafvorschrift aus 201 StGB", so der Jurist Fredrik Roggan an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. "Denn der Polizist agiert ja nicht als Person, als Individuum, sondern als Amtsträger."
Filmverbot oft mit Gewalt durchgesetzt
Infolge der polizeilichen Durchsetzung des vermeintlichen Filmverbots aufgrund von Paragraf 201 kommt es, wie im Hamburger Fall, oft zu erheblicher Gewaltanwendung. Im Kern geht es in dem Abhörparagrafen allerdings nicht um Bildaufnahmen, sondern um den Ton. Verboten ist etwa das heimliche Abhören von Telefonaten oder Gesprächen im Schlafzimmer. Auch deshalb steht die faktische Instrumentalisierung dieses Paragrafen zur Verhinderung von Filmaufnahmen in der Kritik.
Außerdem gibt es die sogenannte faktische Öffentlichkeit, das heißt andere können mithören. Im Falle von Asad und Musa waren es mehrere Passanten und Zeugen. "Wenn dort eine unbekannte Vielzahl von Menschen das Geschehen ohnehin verfolgt haben, möglicherweise auch und mit Handys, mit oder ohne Tonaufnahme, so war von einer faktischen Öffentlichkeit auszugehen, sodass die Behauptung der Nicht-Öffentlichkeit des gesprochenen Wortes falsch ist. Und keiner der dort eingesetzten Polizeibeamten wird doch ernsthaft sagen können, dass er an dieser Stelle Wert darauf legen würde, dass er eine unbefangene Kommunikation führen möchte. Das ist ein Polizeieinsatz, mehr faktische Öffentlichkeit ist kaum vorstellbar", so Strafrechtler Roggan.
Grundsatzurteil fehlt bislang
Immer mehr Gerichte folgen dieser Rechtsauffassung. Doch beim Einsatz vor Ort zählt nur die Deutung der Polizeibeamten. Und ohne Video ist es im Nachhinein schwer zu klären, ob es eine Mithörgelegenheit und somit eine faktische Öffentlichkeit gegeben hat.
Was ist also erlaubt, was ist richtig? Roggan sagt: Man darf im Kontakt mit der Polizei in der Öffentlichkeit filmen, denn der Polizist agiere als Amtsträger und nicht als Individuum. Trotzdem sagen die Polizeibeamten vor Ort immer wieder: Nein, das darf man nicht. Ein Grundsatzurteil dazu ist lange überfällig.