Eine "Oase" als Schutzraum vor Radikalisierung
Bundesweit stufen die Behörden nach jüngsten Erkenntnissen 1.600 Menschen als gewaltbereite Islamisten ein. Vor einer Straftat steht immer die Radikalisierung. Und genau die soll natürlich verhindert werden. Die Stadtteilschule Öjendorf in Hamburg-Billstedt hat sich dazu ein besonderes Konzept ausgedacht - und kommt damit offensichtlich sehr gut bei den mehrheitlich muslimischen Jugendlichen an.
"Wir hatten an unserer Schule eben Vorfälle, als Beispiel ging es darum, dass ein Mädchen ein anderes Mädchen bedrängt hatte, ein Kopftuch zu tragen. Wir haben uns eben Gedanken gemacht, was wir dagegen tun können." So entstand in der Stadtteilschule Öjendorf die Idee zum Treffpunkt "Oase", erzählt Philip Mohamed Al–Khazan, der an der Stadtteilschule als Präventionsbeauftragter tätig ist.
Die "Oase" ist jeden Mittag geöffnet. In dem umfunktionierten Klassenraum steht ein Sofa, es gibt Tee und Kekse. Der 17-jährige Dejan kommt oft hierher: "Hier kann man mit den Lehrern entspannt reden, auch über islamische Sachen. Es gibt auch gute Ratschläge."
Eine wichtige Anlaufstelle für alle Schüler
Je zwei Religionslehrer diskutieren dann mit den Jugendlichen. Immer wieder geht es für sie darum, Dinge richtig zu stellen, sagt der Präventionsbeauftragte Al-Khazan: "Wir haben hier in der Nähe auch Koranschulen, wo wir nicht wissen, was da wirklich unterrichtet wird. Wir erfahren es nur von Schülern. Eine Sache zum Beispiel, die wir letztens erfahren haben: 'In der Koranschule habe ich gelernt, dass Jesus Moslem war.' Das sind solche Dinge, wo wir natürlich schon feststellen, auch hier in der Nähe gibt es Gruppierungen, die die Schüler in die Irre führen mit falschen Gedanken ohne fundierte historische Kenntnisse."
In der "Oase" ist kein Thema tabu
Der 34-Jährige und seine Kollegen versuchen Wissenslücken aufzufüllen, hinterfragen Aussagen kritisch: "Wenn wir dann dagegen halten und sagen: 'Das stimmt aber nicht', dann schauen wir uns die Geschichte an, religiöse Themen an, und versuchen das zu widerlegen, was sie dort an Falschinformationen bekommen."
Ein Vorteil aus Sicht von Al-Khazan gegenüber Koranschulen oder auch den Eltern ist, dass kein Thema tabu ist: "Wir sprechen mit denen auch über Verliebtsein, über Sexualität. Das sind auch Fragen, die nachher so formuliert werden, wie: 'Ist es im Islam erlaubt, sich selbst zu befriedigen?' Da wir diese Tabuthemen brechen, kommen sie sehr gern zu uns. Sie haben das Gefühl, dass sie über alles mit uns sprechen können."
Lehrer begegnen den Schülern auf Augenhöhe
In dem sie mit ihnen auf Augenhöhe sprechen, schaffen die Lehrer Vertrauen. Sie hoffen, die Jugendlichen damit zu überzeugen, sich nicht radikal-islamischen Gruppierungen anzuschließen oder einfach von der Gesellschaft abzukapseln. Die 17-jährige Sarah wäre dieser Versuchung fast erlegen: Lange Zeit besuchte sie eine bestimmte Moschee, hinterfragte nichts. Erst durch die Gespräche mit ihren Lehrern verstand sie: "Ich finde, die Moschee redet nicht mehr so gut über den Islam selber als wie es eigentlich ist. Die Moschee hat sogar selber angefangen, radikal zu werden oder radikal zu denken."
Sarah wandte sich ab, geht heute nicht mehr dort hin. Die 17-Jährige ist bereits muslimisch verheiratet, trägt ein langes Gewand und Kopftuch. Anders als man ihr in der Moschee weiß machen wollte, sagt sie selbstbewusst über ihr Stück Stoff auf dem Kopf: "Das ist kein Zwang, unsere Religion zwingt niemanden."
Ein Vorbildprojekt für andere Schulen
Der Treffpunkt "Oase" in der Stadtteilschule Öjendorf soll nicht das einzige Beispiel dieser Art in Hamburg bleiben. Derzeit arbeitet das Team aus Billstedt an einem Konzept für Schulen in ähnlicher Lage. Dazu brauche es einen Raum und am besten Lehrkräfte verschiedener Religionen, die darauf geschult sind, Radikalisierungstendenzen früh zu erkennen, sagt Al-Khazan.