Eine Stadt steht Spalier
"Gigant". "Weltgewissen". "Instanz“". Ein Abschied von Helmut Schmidt ist ohne solche Superlative wohl nicht denkbar. Und doch sind es am Montag nicht diese großen Worte, die besonders nahe gehen, sondern die kleinen Dinge. So ist es rührend zu sehen, wie der schon betagte Henry Kissinger beim Staatsakt im Michel langsam nach vorne schreitet, um von seinem alten Freund Abschied zu nehmen. Er tut es auf Deutsch.
Schlichte Größe
"Herr Schmidt, Sie werden uns fehlen," sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie findet schlichte, schöne Worte, wie auch die ganze Feier eine schlichte Größe und eine große Würde hat. Schmidt hat das Programm vor seinem Tod weitgehend selbst bestimmt. Vor allem die Musik. Immer wieder erklingen Werke von Bach und Pachelbel. Kent Nagano dirigiert das berühmte "Air", und ein Chor singt Schmidts Lieblingslied "Der Mond ist aufgegangen." Vor dem Sarg, der von einer Deutschlandfahne bedeckt ist, strahlt ein einfacher Kranz aus Sonnenblumen, den Schmidts Tochter Susanne hat aufstellen lassen.
Das Who is Who der Politik nimmt Abschied. Alle sind da. Das politische Deutschland sitzt im Hamburger Michel. Ehemalige und aktive Bundespräsidenten, Minister, Freunde und politische Gegner sind zum dumpfen Trauergeläut in schwarz in die Kirche gekommen. Männer wie Lord Heseltine und Giscard d’Estaing, deren Namen die Nachrichtensendungen der 80er-Jahre dominierten, erinnern an die Zeit, in der Schmidt Kanzler war. Merkel ist es, die die Trauergemeinde zum Schmunzeln bringt. Sie erinnert an Schmidts Ausspruch "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen". Merkel erinnerte auch daran, dass Schmidt diesen Satz später einmal so eingeordnet hatte: "Es war eine pampige Antwort auf eine dusselige Frage." Da mussten viele lächeln. Genauso klang Helmut Schmidt.
Stille mit Subtext
Nach den Terrorattacken von Paris ist die Polizei besonders um die Sicherheit besorgt. Hubschrauber kreisen über der Stadt. Die Hauptverkehrsstraße vor dem Hamburger Michel ist gesperrt. Überall stehen Polizisten. Auf den Dächern der Nachbarhäuser haben sich Scharfschützen postiert. Gäste und Journalisten müssen durch eine Sicherheitsschleuse wie am Flughafen. So herrscht in der Hochsicherheitsblase rund um den Michel Frieden und eine außergewöhnliche Stille – wenn auch mit einem nervösen Subtext.
In die Kirche hinein dürfen nur geladene Gäste. Hinter den Absperrungen drängen sich aber Hunderte, um einen Blick auf den Sarg und das militärische Zeremoniell bei der Abfahrt werfen zu können. Nach dem Staatsakt stehen an den Straßen der Stadt tausende Menschen und warten auf den Wagen mit Schmidts Sarg auf dem Weg zum Ohlsdorfer Friedhof. Einige haben Hamburg- oder Deutschlandfahnen in der Hand und winken damit.
Zuweilen zu schnell vorbeigerauscht
Dass der Wagen bisweilen viel zu schnell an den Menschen vorbeirauscht, enttäuscht die Hamburger, die lange gewartet haben, um ihrem Altkanzler noch einmal Tschüs zu sagen. Die Anteilnahme ist überwältigend. In diesem Moment spürt man, wie bedeutsam dieser Tag für die Menschen in der Stadt ist. Die Hamburger haben nicht vergessen, wie Helmut Schmidt sie bei der Sturmflut 1962 vor Schlimmerem bewahrt hat, wie er die große Weltpolitik in sein kleines Reihenhaus in Langenhorn holte und wie er sich bis zum Schluss bei der Wochenzeitung "Die Zeit" in Hamburg als moralische Instanz zu Wort meldete. An diesem Montagmittag hat man noch einmal verstanden, wie groß Helmut Schmidt wirklich war. Es ist ein würdevoller Abschied für einen bedeutenden Mann.