Bewegender Abschied von Helmut Schmidt
Knapp zwei Wochen nach dem Tod von Helmut Schmidt haben Spitzen von Staat und Gesellschaft am Montag in der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis Abschied vom ehemaligen Bundeskanzler genommen. 1.800 geladene Gäste aus dem In- und Ausland waren für den Staatsakt nach Hamburg gereist. Anschließend gab es einen Trauerzug durch die Stadt, bei dem Tausende Menschen dem Hamburger Ehrenbürger die letzte Ehre erwiesen. Am Straßenrand in der Innenstadt standen die Menschen dicht an dicht und spendeten Applaus. Manche warfen Blumen auf das von der Polizei eskortierte Fahrzeug mit dem Sarg Schmidts.
Schmidt war am 10. November im Alter von 96 Jahren in seinem Haus im Stadtteil Langenhorn gestorben.
Gauck und Merkel unter den Trauergästen
Am Staatsakt im Michel nahmen unter anderem Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel teil. Auch die Vertreter aller weiteren Verfassungsorgane in der Bundesrepublik waren dabei: Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundesratspräsident Stanislaw Tillich sowie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Neben Schmidts langjährigem Freund, dem französischen Ex-Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing, waren auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, nach Hamburg gekommen. Die früheren Bundespräsidenten Roman Herzog, Horst Köhler und Christian Wulff erwiesen Schmidt ebenfalls die letzte Ehre. Auch viele Bundesminister sowie aktuelle und frühere Staats- und Regierungschefs aus dem Ausland waren dabei. In der ersten Reihe saßen unter anderem Schmidts Tochter Susanne und seine Lebensgefährtin Ruth Loah.
Hauptpastor Röder: "Als wäre ein guter Freund gestorben"
Der kirchliche Teil des Staatsaktes begann mit Musik von Johann Sebastian Bach und der Begrüßung durch Hauptpastor Alexander Röder. Schmidts Tod bringe vielen Menschen Trauer und Schmerz, sagte Röder. Viele hätten sich in Kondolenzbücher eingetragen, "als wäre ein guter Freund gestorben". Röder: "Er ist für sie eine Autorität, ein Vorbild an Gradlinigkeit, Pflichtbewusstsein, Redlichkeit und Mut, Klugheit und Klarheit in seiner Haltung, manchmal auch Kantigkeit und zugleich Bodenständigkeit. So bleibt er in Erinnerung, auch über seinen Tod hinaus."
Auf besonderen Wunsch Schmidts trug der Volkssänger Jochen Wiegandt das plattdeutsche Lied "Mien Jehann" vor, in dem sich ein alter Mann wehmütig an die unbekümmerte Jugend erinnert.
Scholz: "Wir haben einen Giganten verloren"
Mit einer Rede von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz startete der staatliche Teil der Trauerfeier. Scholz würdigte Schmidt als "großen Politiker und Bürger", der ein großes Erbe hinterlasse. "Wir haben viel von ihm gelernt. Er hat vorgelebt, wie anständige und vernünftige Politik aussieht. Seine Geradlinigkeit hat Vertrauen erzeugt und ihn zum Vorbild für viele gemacht", sagte Scholz. "Wir haben einen Giganten verloren." Er lobte den lebensklugen politischen Pragmatismus Schmidts, aus dem "scheinbar unbegrenzte moralische Autorität" erwachsen sei. Es sei noch kaum vorstellbar, "dass wir künftig gesellschaftliche und politische Debatten ohne ihn werden führen müssen", betonte der Bürgermeister. "Wir verneigen uns in unendlicher Trauer und in tiefer Dankbarkeit vor ihm."
Kissinger: "Helmut wird bei uns bleiben"
Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger würdigte Schmidt als einen besonderen Freund, den er seit 60 Jahren gekannt und geschätzt habe. Er nannte ihn "eine Art Weltgewissen". Er habe Mut und Visionen nie für sich reklamiert, aber verkörpert. Schmidt sei gebildeter als die meisten Politiker der Nachkriegszeit gewesen, sagte der 92-Jährige. Zu Schmidts 90. Geburtstag habe er die Hoffnung ausgesprochen, dass der ehemalige Kanzler ihn überleben werde, "weil eine Welt ohne ihn eine sehr leere wäre". Doch er habe sich geirrt. "Helmut wird bei uns bleiben, perfektionistisch, launisch, stets auf der Suche, fordernd, inspirierend, immer zuverlässig." Der aus Fürth stammende Kissinger hielt seine Rede auf Deutsch.
Merkel: "Schmidt war eine Instanz"
"Helmut Schmidt wird uns allen fehlen", sagte Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Trauerrede. "Helmut Schmidt war eine Instanz." Er habe sich größten Respekt erworben. Sein hohes Ansehen basiere auf seiner Verantwortung und seiner Bereitschaft, sich auch schwierigsten Aufgaben zu stellen. Auch aus der DDR heraus habe sie als geborene Hamburgerin das entschlossene Eingreifen Schmidts bei der Sturmflut von 1962 in Hamburg verfolgt.
Er habe sich gegen jede Form blinder Ideologien gewehrt, betonte die Kanzlerin. "Er war bereit, selbst den höchsten Preis zu zahlen." Schmidt habe für die Demokratie gebrannt. "Ich verneige mich mit tiefen Respekt vor einem großen Staatsmann und einer herausragenden Persönlichkeit." Merkel beendete ihre Rede mit dem Satz: "Lieber Helmut Schmidt, Sie werden uns fehlen."
Großes militärisches Ehrengeleit
Der Staatsakt endete mit der deutschen Nationalhymne. Anschließend gab es ein großes militärisches Ehrengeleit. Dabei trugen Soldaten den Sarg des verstorbenen Altkanzlers vor dem Michel an einer Ehrenformation der Bundeswehr vorbei. Bevor der Bestattungswagen vor dem Michel losfuhr, spielte eine Militärkapelle das "Lied vom guten Kameraden". Dann wurde der Sarg in einem Wagen zum Rathaus und weiter zum Friedhof Ohlsdorf gefahren. Schmidt soll eingeäschert und dann im engsten Kreis im Familiengrab neben seiner Frau Loki beigesetzt werden. Der Termin der Beisetzung wurde nicht bekanntgegeben.
Bürgerschaft und Senat veranstalteten am Nachmittag im Rathaus einen Trauerempfang für etwa 1.000 geladene Gäste. Bundespräsident Gauck und zahlreiche andere Gäste trugen sich dabei ins Kondolenzbuch ein.
Hohe Sicherheitsvorkehrungen
Die Feierlichkeiten standen unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. So war der Bereich rund um den Michel weitgehend abgesperrt. Dadurch konnten die Hamburger nicht direkt von "ihrem" Helmut Schmidt Abschied nehmen.
Bundespräsident Gauck hatte den Staatsakt für Schmidt angeordnet. Diese Zeremonie ist Ausdruck höchster Würdigung einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens durch die Bundesrepublik Deutschland. Schmidt war von 1974 und bis 1982 als Nachfolger von Willy Brandt Bundeskanzler. Dabei war der Diplomvolkswirt unter anderem mit der Ölkrise in den 1970er-Jahren und dem Kampf gegen den Terrorismus der "Roten Armee-Fraktion" konfrontiert. Auch die Auseinandersetzung um den Nato-Doppelbeschluss prägte Schmidts Kanzlerschaft. Den Hamburgern ist Schmidt vor allem wegen seines Engagements während der Sturmflut 1962 in Erinnerung, als er als Innensenator die Bundeswehr zu Hilfe rief und so zahlreiche Menschenleben rettete.