Bewaffnete Drogenbanden: "Eine enorme Gefahr für den Zoll"

Stand: 27.06.2024 14:00 Uhr

In Deutschland steigt die Menge des sichergestellten Kokains stetig an - und damit auch die Gefahr, dass Kriminelle versuchen könnten, die Drogen mit Waffengewalt wiederzuerlangen. Die Gewerkschaft der Polizei fordert auf NDR Info eine bessere Ausstattung für den Zoll.

Im Hamburger Hafen werden immer wieder riesige Mengen Kokain entdeckt und beschlagnahmt. Mitunter geht es um Milliardenwerte. Seit Jahren schon warnen Zollfahnder davor, dass Drogenbanden versuchen könnten, mit Waffengewalt das vom Staat eingelagerte Rauschgift wiederzuerlangen. Denn das Kokain muss in der Regel bis zum Abschluss eines Verfahrens als Beweismittel aufbewahrt werden. Nach Recherchen von NDR und WDR sind Zollfahnder offenbar nur unzureichend ausgerüstet. Wie sieht die Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Situation beim Zoll? Dazu äußerte sich der stellvertretende GdP-Vorsitzende, Frank Buckenhofer, im Interview auf NDR Info.

Mit Blick auf die Kokain-Funde in letzter Zeit: Ist der Zoll da noch gut aufgestellt?

Frank Buckenhofer: Das Phänomen, dass der Kokain-Schmuggel anwächst, kennen wir mittlerweile seit vielen Jahren. Wir können regelrecht von einer Kokain-Schwemme reden. Und der Zoll ist weder personell noch in der Ausrüstung gestärkt worden. Man macht also business as usual. Sprich: Das Finanzministerium investiert in die Bekämpfung des Drogen-Schmuggels - oder überhaupt in die Kriminalitätsbekämpfung - exakt so viel Geld, dass man dem Ministerium nicht vorwerfen kann, es tue nichts.

Frank Buckenhofer, Stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, Zoll © GdP-Bezirk Bundespolizei | Zoll
AUDIO: Polizeigewerkschaft sieht Zoll durch Drogenbanden gefährdet (7 Min)

Der Zoll fällt in den Zuständigkeitsbereich des Bundesfinanzministers. Christian Lindner betont immer wieder, wie wichtig der Zoll sei. Sind das nur Sonntagsreden?

Buckenhofer: Ganz genau! Bisher haben wir in allen Ansprachen von Lindner immer wohlfällige Worte gehört, dass er den Zoll stärken will im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Geldwäsche. Das hörte sich zu Beginn der Legislatur nach einem ganz großen Programm an. Mittlerweile sind fast drei Viertel der Legislatur vorbei. Und wir stellen fest: Es hat sich nicht wirklich etwas geändert. Die Kollegen und Kolleginnen stehen nach wie vor im Regen.

Auch im Hamburger Hafen werden immer größere Mengen an Kokain beschlagnahmt. Wie sind diese Drogenfunde geschützt?

Buckenhofer: Es gibt für die gesamte Sicherstellung der Waren überhaupt keine ernst zu nehmenden Konzepte. Die Sicherung der vom Zoll beschlagnahmt Waren müssen eigentlich besonderen Ansprüchen genügen - hinsichtlich ihrer toxikologischen Belastung, hinsichtlich ihrer explosiven Gefahr, hinsichtlich ihrer Werthaltigkeit und hinsichtlich ihres räumlichen Ausdehnungsvermögens. Und dazu hat der Zoll kein wirkliches Konzept, nicht von Flensburg bis Passau und auch nicht von Aachen bis Frankfurt/Oder.

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In Deutschland ist die Menge an sichergestelltem Kokain gestiegen - und damit auch die Gefahr, dass Kriminelle es mit Gewalt wiedererlangen wollen. Mehr bei tagesschau.de. extern

Die organisierte Kriminalität rüstet offenbar immer weiter auf. Kommt der Zoll da noch mit?

Buckenhofer: Ich selbst bin jetzt seit über 40 Jahren beim Zoll. Als ich angefangen habe, waren wir sehr gut ausgerüstet, auch mit der entsprechenden Bewaffnung. Das hat man immer mehr zurückgefahren. Wir haben heute Tätergruppen, die hochbewaffnet sind und durchaus auch bereit sind, sich die sichergestellten Güter zurückzuholen. Das ist eine enorme Gefahr für die Kolleginnen und Kollegen. Und wir wollen alles dafür tun, dass wir nicht irgendwann wieder den ersten toten Kollegen beklagen müssen. Und da fehlt es im Moment an den nötigen Ausrüstungsgegenständen, die man braucht, um gerade solche werthaltigen und gefährlichen Substanzen wie das Kokain vernünftig zu sichern.

Warum dürfen die beschlagnahmten Kokain-Funde nicht sofort vernichtet werden?

Buckenhofer: Beweismittel müssen im Zweifelsfall im Hauptverfahren zur Verfügung stehen. Aber ich kenne nicht einen einzigen Fall, wo irgendwann mal bei einem Gericht fünfzehn Tonnen Kokain vorgeführt worden sind. Und von daher ist unsere Forderung an das Bundesjustizministerium, das Betäubungsmittelrecht zu ändern. Und zwar dahingehend, dass man bei solch großen Kokainmengen hingeht und sagt: Hier werden unter richterlicher Aufsicht Proben genommen an verschiedenen Stellen. Es wird unter richterlicher Aufsicht die Menge bestimmt. Und dann gibt es Gutachten über die chemische Zusammensetzung des Stoffes. Und wenn dieses sogenannte Wirkstoff-Gutachten da ist, kann das Kokain unter zollamtlicher Überwachung vernichtet werden. Damit man nicht noch viele Jahre lang darauf aufpassen muss.

Das Gespräch führte Stefan Schlag, NDR Info

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NDR Info | 27.06.2024 | 14:00 Uhr

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