Sparwut: Krankenkassen verhören Versicherte
Siegfried Krause ist in seinem Leben selten krank gewesen, hat seiner Krankenkasse wenig Kosten beschert und stets seine vollen Beiträge bezahlt. Einige Zeit nach einer Herzoperation allerdings wird er erneut krank. Die Krankenkasse muss - wie bei der ersten Erkrankung - wieder Krankengeld zahlen. Dazu ist sie gesetzlich verpflichtet. Sie tut es auch, doch dann erhält Siegfried Krause Post.
Gutachter notiert "gepflegtes Erscheinungsbild"
Darin teilt ihm die Krankenkasse mit, dass ihn in Kürze Mitarbeiter einer Firma besuchen würden, um sich ein Bild seiner Erkrankung zu machen. Sollte er den Hausbesuch verweigern, werde die Kasse seinen Krankengeldanspruch überprüfen. Siegfried Krause und seine Familie fühlen sich unter Druck gesetzt, stimmen dem Besuch aber zähneknirschend zu. Der Mitarbeiter stellt viele Fragen - zu Medikamenten, zu Therapie und Behandlung - und macht nach Recherchen von NDR Info und Panorama 3 erstaunliche Notizen: "Ich habe den Versicherten in Freizeitkleidung angetroffen, sein äußeres Erscheinungsbild scheint sehr gepflegt". So steht es im Protokoll des Besuchs, das beiden Redaktionen vorliegt.
Patienten werden unter Druck gesetzt
Siegfried Krause ist verunsichert, Experten sehen in diesem Vorgehen schon den Tatbestand der Nötigung erfüllt. Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein: "Also nach unserem Eindruck verfolgen diese Datenerhebungen, die Hausbesuche, die Fragebögen den Zweck, Patientinnen und Patienten unter Druck zu setzen, sie möglichst schnell wieder in den Arbeitsprozess zu bringen, keine Krankengelder mehr bezahlen zu müssen, unter Umständen sogar die Patienten aus der Krankenkasse zu treiben." Auf jeden Fall würden Daten erhoben, mit denen unter Umständen Kosteneinsparungen für die Krankenkassen möglich sind.
Große Wissbegier trotz rechtlicher Zweifel
Viele Versicherte bekommen die Datensammelleidenschaft ihrer Krankenkasse schriftlich zu spüren. Wenn sie Geldleistungen wie Krankengeld beantragen wollen, bekommen sie oftmals einen langen Fragebogen zugeschickt, unter anderem mit Fragen nach der Behandlung, eventuell gestellten Rentenanträgen, Kündigungen - alles Dinge, die die Krankenkasse nichts angehen und nach denen sie auch nicht fragen dürfte: Laut Rechtsauffassung des Bundesversicherungsamtes und verschiedener Datenschützer dürfen solche Fragen nur vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) gestellt werden und müssten, wenn abgefragt, in einem verschlossenen Umschlag direkt an den MDK gesandt werden.
Kassen beteuern ihre guten Absichten
Viele Kassen verschicken die Bögen dennoch. Sie weisen nicht darauf hin, dass die Beantwortung freiwillig ist - und machen die Zahlung vom Krankengeld davon abhängig, dass der Fragebogen ausgefüllt zurückkommt. Ohne Fragebogen kein Geld.
Die Krankenkassen sehen sich im Recht. Man wolle die Versicherten bestmöglich beraten, therapeutische Unterstützung geben und Behandlungsmaßnahmen koordinieren. So laute der gesetzliche Auftrag. Experten sehen das Vorgehen der Kassen dagegen kritisch: Sie halten die Argumente für einen Vorwand, um Daten zu sammeln, die Kosten sparen sollen - zum Schaden der Versicherten.