Leben in der Groß-WG: Das Hofprojekt Arfrade
Nach dem Studium soll Max Dohse den Hof seiner Eltern in Arfrade übernehmen. Weil er nicht alleine wieder zurück aufs Land ziehen will, gründet er eine WG, bei der es mittlerweile um viel mehr geht als um das Wohnen.
Als sie an diesem Abend nach Hause auf den Hof in Arfrade (Kreis Ostholstein) kommt, ist das Essen schon fast fertig gekocht. Johanna Steffen wird von gleich neun Leuten begrüßt. Denn sie wohnt in einer der wohl größten Wohngemeinschaften Schleswig-Holsteins, mit insgesamt 15 Mitbewohnern. Alle zwischen 22 und 33 Jahre alt.
Johanna setzt sich zu den anderen an den großen Küchentisch in der Gemeinschaftsküche, schnibbelt Salat und tauscht sich über den Tag aus. Hier kocht jeden Tag jemand anderes. Und die Lebensmittel gehören alle gemeinsam. Die Kosten dafür werden geteilt.
Die größte Herausforderung: genug Zeit für sich selbst
Sechzehn Zimmer, sieben Bäder und Gemeinschaftsräume für rund 220 Euro im Monat – je nach Verdienst. Johanna Steffen ist in der Coronazeit in die Groß-WG gezogen. "Ich wollte da wohnen, wo viel Leben ist", erzählt sie, während sie eine riesige Auflaufform mit Lasagne auf die Terrasse bringt. "Wo ich viele neue Erfahrungen machen kann, ohne den Ort wechseln zu müssen." Beim Essen diskutiert die WG über die Anschaffung einer Außendusche. Bei solchen Entscheidungen geht es nach der Mehrheit. Nur bei neuen Mitbewohnern muss jeder Einzelne einverstanden sein. Wer hier leben möchte, sollte sich vor allem abgrenzen können, sind sich alle einig. "Die größte Herausforderung sind nicht die anderen", sagt Johanna, "sondern, dass man sich auch genug Zeit für sich selbst nimmt, und sich auch mal zurückzieht."
Arbeit für die Gemeinschaft
Abgestimmt wird über die Dusche an einem anderen Tag. Alle zwei Wochen trifft sich die ganze WG zum Plenum. "Ich streite mich hier so wenig wie in keiner anderen WG vorher", sagt Simon. Er ist Informatiker und wohnt seit 2021 in der Groß-WG. "Es ist alles eine Frage der Kommunikation." Von der Ärztin über die Raumausstatterin bis zum Baumpfleger – viele hier arbeiten halbtags, denn die Gemeinschaft braucht Zeit. Alle Mitbewohner bringen sich in ihrer Freizeit in AGs ein.
Johanna kümmert sich zum Beispiel um die gemeinsamen Ziegen und Hühner. Andere um das selbst angebaute Gemüse. "Im voll geplanten Leben ist es gar nicht so leicht möglich, einen großen Garten zu bewirtschaften, Tiere zu haben, und noch ein Sozialleben nach Feierabend zu haben", sagt Johanna. "In Gemeinschaft ist viel mehr möglich. Das ist richtig schön."
In Gesellschaft auf dem Land
Begonnen hat alles mal mit einer Vierer-WG. Gegründet von Max Dohse, der 2015 nach dem Studium den Milchviehbetrieb seiner Eltern übernehmen sollte, aber nicht alleine zurück aufs Land ziehen wollte. "Ich habe die WG-Anzeige nach einer Stunde wieder rausgenommen", erinnert er sich. "Weil sich so unfassbar viele Menschen gemeldet haben." Für viele sei es eine Idealvorstellung, so zu leben, glaubt er: in einer Gemeinschaft mit viel Platz und Natur drumherum. Viele WG-Bewohner sind bewusst aus der Stadt ins Dorf gezogen.
Mittlerweile ist die WG gewachsen. Auch in den Häusern nebenan wohnen jetzt Menschen, die zum Projekt gehören. Und ein Haus mit acht Wohnungen für Familien wird gerade gebaut. Die Gemeinschaft belebt das 400-Einwohner-Dorf mit einem Hofcafé und regelmäßigen Wohnzimmerkonzerten, Kunsthandwerkermärkten und Dorffesten – alles organisiert von AGs. Das Projekt "Unser Ernteglück" soll auch Städter ins Dorf holen. Die Idee: Hier kann sich jeder einen schon bepflanzten Garten mieten und eigenes Gemüse ernten.
"Immer ist jemand da, der ein liebes Wort für dich hat" Johanna Steffen, WG-Mitbewohnerin
Nach dem Essen spielen alle noch Volleyball im Garten. Die WG verbringt jeden Abend Zeit gemeinsam. Johanna wollte eigentlich nur übergangsweise bleiben. Jetzt wohnt sie schon seit drei Jahren hier. „Dafür gibt es viele Gründe: Weil immer jemand da ist, der ein liebes Wort für dich hat. Die unfassbar vielen Gespräche und Perspektiven auf das Leben und die Unterschiedlichkeit der Menschen“, sagt sie, und läuft zu den anderen auf die Wiese.