Frauen in der Medizin: Darum werden sie häufig benachteiligt
Fehlende Forschung, falsche Medikamente – Frauen werden in der Gesundheitsversorgung benachteiligt. Die Greifswalder Medizin-Professorin Sylvia Stracke kämpft dafür, dass sich das ändert.
Schmerzen in der Brust und im linken Arm gelten allgemein als die typischen Anzeichen für einen Herzinfarkt. Dabei ist es mittlerweile erforscht, dass dies meist nur für Männer gilt. Bei Frauen sind es eher Übelkeit, Müdigkeit und Atemnot. Dies ist nur ein Beispiel, bei dem sich Krankheiten unterschiedlich äußern. In vielen medizinischen Bereichen gibt es allerdings zu wenige Daten über Frauen, um mögliche Unterschiede wissenschaftlich belegen zu können, sagt Prof. Sylvia Stracke. Sie ist Fachärztin an der Unimedizin Greifswald und leitet ein Forschungsprojekt zu geschlechtssensibler Medizin.
Unterschiedliche Grenzen bei Bluthochdruck
So liege die anerkannte Grenze zum Bluthochdruck generell bei 140 zu 90. Bei Frauen gebe es jedoch Hinweise, dass die Grenze eher bei 130 zu 80 liegt, sagt Stracke. Trotzdem gelte auch für Frauen der höhere Wert, wenn es um die Diagnose und anschließend die Behandlung von Bluthochdruck geht. Es fehlen anerkannte Studien, welche die Hinweise entsprechend belegen.
Weniger Überweisungen zum Facharzt
Die Professorin nennt ein weiteres Beispiel. "Die chronische Nierenkrankheit kommt bei Frauen häufiger vor als bei Männern, wird bei ihnen aber seltener als bei Männern diagnostiziert und behandelt", sagt Stracke. Als Ursache dafür nennt sie nicht das biologische Geschlecht, sondern das soziale Geschlecht "Gender". So würden Ärzte Frauen seltener an Nierenfachärzte überweisen. In der Folge erhöhe sich das Risiko für Komplikationen im Krankheitsverlauf.
Nebenwirkungen von Medikamenten häufiger unklar
"Zeitgleich gibt es jetzt neue Medikamente für die Behandlung der chronischen Nierenkrankheit", berichtet Sylvia Stracke. "Leider waren Frauen in den Studien unterrepräsentiert." Das bedeute nicht direkt, dass die Medikamente für Frauen ungeeignet sind. Sie könnten aber weniger anschlagen oder zu stärkeren Nebenwirkungen führen. Viele Medikamente werden laut der Professorin vorrangig an Männern getestet. Das sei problematisch, denn so könne es zu stärkeren Nebenwirkungen oder einer falschen Dosis bei Frauen kommen.
Frauen in Studien unterrepräsentiert
In erster Linie müsse generell mehr geforscht werden, sagt Sylvia Stracke. Aktuell fehle es an Wissen in fast allen Bereichen. "Erst wenn man die richtige Datengrundlage hat, kann man auch die Therapie richtig machen", betont Stracke. Außerdem, so die Professorin, werden derzeit die meisten Versuche in den Studien mit Männern durchgeführt - selbst bei Krankheiten, die häufiger bei Frauen als bei Männern vorkommen. Das liege unter anderem daran, dass Männer weniger hormonelle Schwankungen haben als Frauen, sagt Sylvia Stracke. Für Studien, zum Beispiel zu einem neuen Medikament, bedeutet das: Es ist einfacher und kostengünstiger, belastbare Ergebnisse bei Männern zu bekommen als bei Frauen. Denn bei Frauen kann sich die Wirkung eines Medikaments stark unterscheiden, je nachdem, wo sie sich in ihrem Zyklus befinden, ob sie schwanger oder in den Wechseljahren sind.
Stracke: Forschung muss angepasst werden
Für belastbare Studien-Ergebnisse, die gleichermaßen für Frauen und Männer gelten, müssten die Studien erweitert werden. Es müssten mehr Frauen unterschiedlichen Alters - vor und nach den Wechseljahren - mit einbezogen werden, so Stracke. Solche Studienverfahren seien aber "anstrengender und teurer."
Mittelalter, 70 Kilo schwerer Mann als Standard
Sowohl im Medizinstudium als auch in der ärztlichen Praxis gelte oft ein mittelalter 70 Kilogramm schwerer Mann als Referenz, sagt Stracke. Dieser "Standard" sei aber weder für die Forschung, noch für die Diagnose und die Therapie länger zeitgemäß. Unterdessen gibt es auch einen medizinischen Bereich, in dem die Männer "benachteiligt" seien. Bei Depressionen seien die Symptome bei Männern weniger erforscht und die Behandlung schlechter als bei Frauen, sagt Stracke. Das liege daran, dass sie häufiger körperliche anstatt mentaler Symptome beim Arzt angeben - aufgrund von Stigmatisierung. Dadurch blieben Depressionen oft unerkannt und es gebe weniger medizinisches Wissen zu Männern mit Depressionen.
