Panorama - die Reporter
Dienstag, 05. April 2016, 21:15 bis
21:45 Uhr
Donnerstag, 07. April 2016, 02:10 bis
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Das schwarzweiße Kalb liegt im Stroh, sein Fell ist noch ganz feucht. Es hat die Geburt gut überstanden, das Tier ist gesund. Trotzdem hält sich die Freude bei Landwirt Jan-Hendrik Langeloh in Grenzen, denn das Kalb ist männlich. Die Preise für Bullenkälber seien schlecht, erklärt der Landwirt. "Wir wollen natürlich Kuhkälber, weil wir nur die melken können", so Langeloh, der einen Milchhof bei Hamburg betreibt.
Schwarzbunten männlichen Kälbern fehlt es nicht nur an Milch, sie setzen auch kaum Fleisch an, denn die Rasse ist auf hohe Milchleistung gezüchtet. Und so rechnen sich die männlichen Kälber nicht. Mehr als 100 Euro muss der Landwirt in ein Kalb investieren, bevor er es verkaufen kann. Der Erlös lag aber im März für ein zwei Wochen altes Bullenkalb in Norddeutschland zwischen knapp 60 und rund 80 Euro - ein Verlustgeschäft.
Männliche Kälber rechnen sich nicht
Im Westen Niedersachsens wurde im November 2014 sogar nur 45 Euro pro Tier bezahlt. Und das sind jeweils die Preise für gesunde Kälber, die mindestens 45 Kilogramm wiegen. Natürlich gibt es auch Tiere, die leichter oder sogar krank sind.
Ökonomisch gesehen sind die männlichen Milchrassekälber für Bauern wertlos - eine finanzielle Belastung. Was hat das für Folgen für die Tiere? Aus einigen Ländern wie Großbritannien, Dänemark und Australien wird berichtet, dass männliche Kälber kurz nach der Geburt getötet würden. Im Internet kursieren Videos aus dem Ausland, die zeigen, wie männliche Milchrassekälber erschossen oder erschlagen werden.
Werden schwache schwarzbunte Kälber getötet?
Und auch in Deutschland macht das Gerücht die Runde, dass in der Milchwirtschaft zu leichte männliche Kälber getötet würden, wenn sie sich nicht vermarkten lassen. Landwirte reden untereinander darüber. Trotz mehrerer vertraulicher Hinweise gibt es aber keine eindeutigen Belege.
In jedem Fall stimmen die schlechten Kälberpreise viele Landwirte nachdenklich. Auch Milchbauer Langeloh macht sich viele Gedanken über eine sinnvolle Vermarktung und die Haltung seiner 150 Milchkühe. Im Sommer kommen die Tiere auf die Weide. Einen Teil seiner Milch verkauft er auch direkt in der Region.
Um die Geburt männlicher Kälber zu verhindern, hat der Landwirt sogenanntes gesextes Sperma ausprobiert. Dabei werden die männlichen Spermien vorher entfernt, damit am Ende möglichst nur weibliche Kälber geboren werden. Doch der Einsatz hat sich für ihn nicht bewährt. Das Verfahren sei zu teuer, und der Besamungserfolg schlecht, so der Landwirt.
Männliche Küken werden nach Geburt geschreddert
So muss er weiter mit den niedrigen Kälberpreisen leben. Milchbauer Langeloh sagt: "Das gleiche Problem haben wir ja bei den männlichen Hühnern bei der Eierproduktion, die will auch keiner, die werden heute geschreddert." Es scheint ein grundsätzliches Problem zu sein: Eine hochspezialisierte Landwirtschaft erzeugt ökonomisch wertlose, überflüssige Tiere. Mehr als 40 Millionen männliche Küken von Legehennen werden nach Schätzungen pro Jahr getötet, weil sie weder Eier legen, noch Fleisch ansetzen.
Was passiert mit den männlichen Ziegenlämmern?
Während der Recherche erzählen Branchenkenner auch von Problemen mit überflüssigen männlichen Tieren bei Ziegen. Ziegenkäse wird immer beliebter. Die Milch dafür geben nur die weiblichen Tiere. Ziegenfleisch dagegen ist in Deutschland schwer verkäuflich. Was passiert also mit den Bocklämmern?
Im Tierschutzbericht der Bundesregierung heißt es zu den männlichen Ziegenlämmern, dass "kaum vertretbare Vermarktungswege" bestünden. Die Jungtiere würden unter Wert ins Ausland verkauft, das Fleisch teils zu Hundefutter verarbeitet oder an Zootiere verfüttert. Doch in Internetforen schreiben Ziegenfreunde auch darüber, dass einige der männlichen Lämmer angeblich direkt nach der Geburt getötet würden.
Schweigen aus Furcht vor Imageschaden?
Hans-Peter Dill hält in Brandenburg am Ufer der Havel etwa 180 Ziegen. Er verkauft auf Märkten und in seinem Hofladen nicht nur Ziegenkäse, sondern auch Fleisch. Mit dem Fleisch macht er Verlust. Er bedauert, dass in der Tierhaltung die Ökonomie am meisten zähle und nicht die Ethik. Dill ist überzeugt davon, dass manche Ziegenhalter ihre Bocklämmer aus wirtschaftlichen Gründen töteten. Es sei jedenfalls das Billigste, die Tiere zu töten und zu entsorgen, sagt Dill. Nachvollziehen könne das aber niemand, so der Ziegenhalter. Früher jedenfalls habe man mehr über die ungeliebten Zicklein geredet, erzählt Dill, heute befürchte die Branche einen Imageschaden durch solche Debatten.
Der Bundesverband Deutscher Ziegenzüchter erklärt dem NDR auf Anfrage, es sei nicht bekannt, dass Bocklämmer "aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen" getötet würden, und man würde das aus Tierschutzgründen entschieden ablehnen. Statistisch abgesicherte Zahlen lägen dazu aber nicht vor.
Die ersten sieben Tage müssen nicht nachvollziehbar sein
Bei Rindern sollte dagegen der Weg von der Geburt bis zur Schlachtung genau nachvollziehbar sein. Allerdings müssen die Kälber erst nach sieben Tagen registriert werden. Was in dieser Zeit passiert, ist kaum nachzuvollziehen. Auch Totgeburten müssen nicht gemeldet werden - eine Lücke.
Der Deutsche Bauernverband schreibt dem NDR, eine tiergerechte Versorgung unabhängig von der Marktsituation habe für die deutschen Nutztierhalter oberste Priorität. Dazu zähle auch die Versorgung der Tiere im Krankheitsfall, so der Verband, jedes andere Verhalten entspräche nicht dem Berufsverständnis der deutschen Bauern
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) antwortet auf Fragen zur Situation der Bullenkälber sehr allgemein. Das Thema sei im Tierwohlkompetenzkreis zu besprechen, und der erwarte, dass jedes Tier "unabhängig von ökonomischen Aspekten tierschutzgerecht" zu behandeln sei.
Tierarzt: Intensivere Kälberbehandlungen ökonomisch verrückt
Doch wie soll das gehen: "Unabhängig von wirtschaftlichen Aspekten"? Tierarzt Michael Drees aus Worpswede bei Bremen sagt, ernste Erkrankungen würden in Zeiten niedriger Preise bei Bullenkälbern seltener behandelt. Die Landwirte würden immer wieder in Gewissenskonflikte geraten. Eine einfache Behandlung eines Kalbes koste etwa 30 Euro, so Drees, wenn das Kalb aber nur 50 Euro bringe, könne man sich ausrechnen, dass intensivere Behandlungen "ökonomisch verrückt" seien. Drees bestätigt dem NDR, dass er von verschiedenen Seiten gehört habe, dass schwache männliche Kälber getötet würden. Händler hätten ihm erzählt, einige seien so "mickrig“ gewesen, dass sie die Tiere nicht losgeworden seien und am Ende hätten "tot machen" müssen.
Fachzeitschrift: In den Niederlanden 300 leichte Kälber getötet
Im Februar meldeten Agrarfachzeitschriften, dass in den Niederlanden rund 300 Kälber getötet worden seien. Händler hätten berichtet, leichte Tiere seien auf Sammelstellen und Viehmärkten eingeschläfert worden, angeblich weil kein Stallplatz für sie gefunden worden sei. Die Branche reagierte umgehend und dementierte. Es gebe kein Problem.
Unbestritten ist jedoch, dass es Anfang des Jahres ein Überangebot an Kälbern auf dem niederländischen Markt gab. Auch aus Deutschland werden viele Kälber zur Mast nach Holland verkauft.
Kurz darauf gibt der niederländische Landwirtschaftsminister Martijn van Dam bekannt, dass jede Woche an Kälbersammelstellen rund 200 Kälber übrig blieben, sie würden zum Schlachthof gegeben oder eingeschläfert. Das Töten von Tieren aus wirtschaftlichen Gründen sei nicht akzeptabel, erklärt van Dam.
- Autor/in
- Oda Lambrecht
- David Hohndorf
- Redaktion
- Dietmar Schiffermüller
- Lutz Ackermann
- Schiffermueller, Dietmar